Big U
den Pausen sah ich den Tunnel hinab zu der Wand aus Licht, die den Zugang zum nuklearen Endlager versperrte. Was machten die Kroatobaltoslowenen da unten, und was dachten sie?
Ihr Plan – Jahre der Infiltration und Augenblicke der Gewalt – war perfekt aufgegangen. Vermutlich hatten sie ihre Bomben aus radioaktivem Abfall hergestellt
und dann gemerkt, daß ihr einziger Fahrstuhlschacht durch Tonnen von Beton versperrt wurde. Da hatten sie zweifellos geglaubt, sie hätten verloren; aber die Nationalgarde war nicht eingerückt und die Verwaltung hatte alle Forderungen erfüllt. War das ein Trick? Auf den Widerstand von GASF und TUG waren sie sicher nicht vorbereitet gewesen. Dennoch hatten ihre Helfershelfer zwei Türme erobert und zeigten sich von ihrer besten Seite. Das ging solange gut, bis diese den Marxismus über Bord warfen und anfingen, ein riesiges Neonschild anzubeten. Dex Fresser mußte jahrelang eng mit Magrov zusammengearbeitet haben. Der Auf-stand in der Mensa am ersten April war eindeutig so geplant worden, daß er mit der Eroberung des nuklearen Abfalldepots zusammenfiel, und das SUB hatte die Kalaschnikows ganz sicher nicht nebenan im 7-Eleven gekauft. Dann – ein Fensterventilator! Ein gottverdammter Fensterventilator! In gewisser Weise sympathisierte ich mit den Kroatobaltoslowenen. Außer uns waren sie die einzigen normalen Menschen hier. Und wie wir mußten sie sich gefragt haben, ob sie den Verstand verloren. Aber wenn sie Loyalität für ihre Sache empfanden, mußten sie ihre Pläne geändert haben. Sie hatten immer noch den Atommüll, sie wurden von den Ratten beschützt, sie konnten immer noch kräftig die Muskeln spielen lassen. Aber sie konnten nicht über die
Barriere aus Licht hinausschauen, wo wir die Schienenkanone aufbauten.
Während einer Verschnaufpause oben begegnete ich Ephraim Klein, der sich steif, aber auf eigenen Füßen bewegte.
»Komm mit!« rief er, packte mich am Hemd und zog mich den Flur entlang. Ich wußte, es mußte sich entweder um etwas sehr Wichtiges oder um etwas peinlich Triviales handeln.
»Das wirst du nicht glauben«, sagte er, als er neben mir den Flur entlangschlurfte. »Wir sind auf dem Weg zur Greathouse-Kapelle. Wir waren dort, um etwas Musik zu senden – rat mal, was wir gefunden haben.«
Ephraim hatte sich zum musikalischen Leiter unserer Rundfunkstation ernannt, später dann zum Cheftontechniker und Produzenten. Er wußte, wir konnten nicht rund um die Uhr Big-Wheel-Geplauder senden, was ihm die Möglichkeit bot, dazwischen abzuspielen, was immer er wollte, und zwar auf der größten Stereoanlage der Welt – endlich Rache. Und wenn Sarah allen Bewohnern befohlen hatte, die Radios den ganzen Tag laufen zu lassen, umso besser; sie würden endlich Musik zu hören bekommen, die auch etwas bedeutete. Er würde etwas für ihre Bildung tun, ob sie es ihm dankten oder nicht.
»Vergeßt nicht, liebe Zuhörer, eine Schallplatte ist eine Art kleines Rad, ein Little Wheel. Und damit ist jede Schallplatte ein Cousin vom Big Wheel. Also wann immer eine Schallplatte abgespielt wird, solltet ihr verdammt noch mal zuhören.«
Ephraim und ich hörten die Musik schon aus hundert Meter Entfernung. Jemand spielte die Greathouse-Orgel, und zwar nicht schlecht, aber mit einer gewissen inspirierten Nachlässigkeit, die hin und wieder zu massiven Fehlern führte. Dennoch erklang die große Fuge von Bach mit allen intakten Teilen, und kein Fehler verwirrte die ineinander klingenden Stimmen.
»Dein Freund hat heute eine Menge Register gezogen«, sagte ich.
»Das ist nicht mein Freund!« rief Ephraim. »Na ja, jetzt schon, aber nicht dieser Freund.«
Wir kamen zum Haupteingang und ich sah den Mittelgang hinauf bis zur Orgel. Dort saß ein breiter, dunkel gekleideter Mann und orgelte fröhlich dem Höhepunkt des Stücks entgegen. Auf dem Notenständer lag kein Blatt, der Organist spielte aus dem Gedächtnis. Hoch droben an der Wand der Kapelle fiel hellgelbes Licht durch das Panoramafenster der Sendekabine herein, von wo der Klang der Orgel zu der mehrere hundert Meter entfernten Radiostation weitergeleitet werden konnte.
Als wir näherkamen konnte ich einen zerlumpten Mantel und nackte rosafarbene Füße auf den Pedalen sehen. Der letzte Akkord wurde geschmettert und pustete fast das Rosettenfenster oben hinaus, dann applaudierte der Künstler sich selbst. Ich erklomm das Podium und sah in das strahlende Gesicht von Bert Nix.
Die Zunge hing ihm wie üblich aus dem
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