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Big U

Big U

Titel: Big U Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Neal Stephenson
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ein Blutrinnsal lief von seinem Kopf auf den Handrücken und bildete eine Pfütze auf dem Formular zum Wechsel der Vorlesungen auf seinem Schreibtisch. Geröll, Regenwasser und Unrat rieselten weiterhin durch das Loch in der Decke. Casimir schrie und schluckte abwechselnd, während er sich aufrappelte. Er stapfte durch geborstene Deckenbalken und verzogene Bücher an Sharons Seite und sah zu seinem Entsetzen, daß der alte Mann von einem großen Splitter des Klaviers durchbohrt worden war, der wie ein Pfeil herabgeschossen war. Unendlich behutsam half er ihm, sich zurückzulehnen, räumte die Bücher vom Schreibtisch, nahm den zierlichen Körper und legte ihn auf die Tischplatte. Er stützte Sharons Kopf mit Ausgaben der Physical Review, Jahrgang 1938, und versuchte, ihm das Atmen zu erleichtern. Die Kopfwunde war unerheblich, und das Blut gerann bereits, aber die Verletzung an der Seite sah schrecklich aus, und Casimir wußte nicht einmal, ob er den Splitter herausziehen sollte. Blut rann dem keuchenden und nach Luft schnappenden Sharon aus den Mundwinkeln. Casimir wischte sich Staub und Tränen vom Gesicht und sah sich nach dem Telefon um.
    Er zuckte zusammen, als eine kleine Fledermaus vorbeiflatterte.
    »Troglodyt! Keine Manieren. Das solltest du sehen!« Casimir wirbelte herum und sah Bert Nix durch die offene Tür zu Sharons Schreibtisch laufen. Casimir versuchte, ihn abzuwehren, da er eine Art Angriff befürchtete, aber Bert Nix blieb unvermittelt stehen und zeigte triumphierend auf Sharon. Casimir drehte sich ebenfalls um. Sharon sah ihn mit halb geöffneten Augen blicklos an und klopfte mit dem Finger schwach auf eine Stelle der Tischplatte. Casimir beugte sich darüber und sah hin. Sharon zeigte auf das Periodensystem, auf das Kästchen des Sauerstoffs.
    »Sauerstoff. Oh zwei. Kapiert?« brüllte Bert Nix.
    Bill Benson, Wachmann 5, diskutierte gerade mit einem Freund darüber, ob es möglich wäre, daß F. D. R. Selbstmord begangen hatte, als das Notfalltelefon läutete. Er ließ es viermal klingeln. Da es sich bei neunundneunzig von hundert Anrufen um groben Unfug handelte, verzögerte er die echten Notfallanrufe jeweils nur um vier Hundertstel pro Anruf, das war gar nichts verglichen mit der Zeit, die es dauerte, abzunehmen. Er hatte es so oder so gründlich satt, daß sich die Kids auf Partys zudröhnten und hinfielen, wenn sie zum Kotzen hinausgingen, sich die Knöchel verstauchten und dann (durch das Wunder vorübergehender geistiger Klarheit) die Notfallnummer anriefen und versuchten, im Drogenrausch ihr Problem zu artikulieren, während im Hintergrund Monsterstereoanlagen derart dröhnten, daß sich fast sein Telefonkabel aufrollte. Schließlich jedoch nahm er den Hörer ab, hielt ihn aber mehrere Zentimeter vom Kopf weg, falls es sich wieder um einen verdammten Trillerpfeifenanruf der Stalinisten handelte.
    »Hören Sie«, ertönte eine Stimme wie aus weiter Ferne, »ich brauche etwas Sauerstoff. Haben Sie welchen da? Es ist ein Notfall.«
    Oh, Scheiße, mußte er diesen Anruf jeden Abend bekommen? Er hörte noch ein paar Sekunden hin. »Es ist ein Sauerstoff-Freak«, sagte er zu seinem Freund, wobei er die Sprechmuschel mit der Hand abdeckte.
    »Sauerstoff-Freak? Was machen die denn mit Sauerstoff?«
    Benson schwang die Füße vom Tisch, legte den Hörer in den Schoß und erklärte es. »Weißt du, Stickoxid, auch Lachgas genannt, ist das große Ding. Sie atmen es durch Masken ein, wie bei einer Operation. Wenn man es aber pur einatmet, kippt man in Nullkommanichts um, weil man Sauerstoff braucht. Die sind aber so verrückt nach Lachgas, daß sie die Maske nicht mal zum Atmen abnehmen möchten, darum mischen sie gern Sauerstoff darunter, damit sie die ganze verdammte Nacht lang dasitzen und nichts anderes einatmen und sich die volle Dröhnung in die Rübe ziehen können. Darum bekommen wir andauernd solche Anrufe.«
    Er nahm den Hörer wieder in die Hand, zog an seiner Zigarre und stieß den Rauch langsam aus. »Hallo?« sagte er in der Hoffnung, der arme gassüchtige Tropf hätte schon wieder aufgelegt.
    »Ja? Wann ist er hier?«
    »Herrje!« brüllte Bill Benson, »hör zu, Junge, leg auf. Wir haben keinen, und du darfst keinen haben.«
    »Scheiße, dann kommen Sie rauf und helfen Sie mir. Rufen Sie einen Krankenwagen! Um Gottes willen, hier liegt ein Mann im Sterben.«
    Manche dieser Bengel waren derartige Kretins, man fragte sich, wie die es überhaupt bis zum College schafften. Vermutlich mit

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