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Big U

Big U

Titel: Big U Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Neal Stephenson
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würde er parallel dazu lange und komplizierte Kopfrechnungen durchführen. Casimir kicherte. Sharon blinzelte und zündete seine Pfeife an. »Ich habe in der Gerüchteküche gehört, daß Sie schlauer sind als alle unsere Professoren, mich ausgenommen.« Er blinzelte wieder durch dichten Rauch.
    »Oh. Also das bezweifle ich.«
    »Ach, ich nicht. Es besteht kein Zusammenhang zwischen Alter und Intelligenz! Sie haben nur Angst, von Ihrem Grips Gebrauch zu machen! Ganz recht, Sie lei-den lieber – das liegt an Ihrem polnischen Blut. Wie auch immer, Sie haben jede Menge praktische Erfahrung. Unsere Professoren kennen alles nur aus Büchern.«
    »Aber ich möchte ja gerade die Erfahrung aus Büchern. Es ist praktisch, wenn man sich mit Elektronik auskennt, aber wir wissen alle, ich stehe mehr auf reine Prinzipien. Ich kann mehr Geld mit dem Entwerfen von Schaltkreisen verdienen, wenn ich das möchte.«
    »Exakt! Sie ziehen es vor, ein armer Physiker zu sein. Freilich kann ich nichts dagegen sagen, daß Sie reine naturwissenschaftliche Sachverhalte erfahren möchten. Schließlich sind Sie nicht naiv, Ihr Leben ist ebenso wenig behütet gewesen wie meins.«
    Casimir lachte verlegen. »Darüber weiß ich nichts. Ich habe meine Weltkriege noch nicht erlebt. Sie dagegen haben zwei durchgemacht. Ich mag aus einem Elendsviertel entkommen sein, Sie dagegen mit einem Koffer voll Raketenbauplänen aus Peenemünde.«
    Fältchen bildeten sich an Sharons Augenwinkeln. »Noch. Ein sehr wichtiges Wort, nicht wahr? Sie sind noch nicht sehr alt.«
    »Was meinen Sie damit? Rechnen Sie mit einem Krieg?« Sharon lachte tief und langsam. »Ich habe mit gewissen Studenten von mir Ihre Wohntürme inspiziert und mußte dabei an, ähem, gewisse Orte während der Besetzung des Sudetenlands denken. Ich glaube, nach allem, was ich sehe« – von der Decke ertönte abermals ein Poltern, worauf er mit dem Pfeifenstil nach oben
    zeigte – »und höre, sind Sie möglicherweise gerade in einem Krieg.«
    Casimir lachte, sog dann aber zischelnd Luft ein und lehnte sich zurück, weil Sharon ihn verdrossen ansah. Der alte Professor war sehr kompliziert, Casimir schien bei ihm ständig in Fettnäpfchen zu treten.
    »Krieg und Gewalt sind nicht sehr komisch«, sagte Sharon, »es sei denn, sie stoßen einem selbst zu – dann sind sie sehr komisch, weil sie es einfach sein müssen. Da oben gibt es mehr Gewalt, als Ihnen klar ist! Heutzutage ist selbst die Sprache zu einer Form von Gewalt geworden – auch an der Universität. Also kümmern Sie sich darum und sorgen Sie sich nicht um einen Krieg in Europa. Sorgen Sie sich hier um einen, denn dies ist jetzt Ihr Zuhause.«
    »Ja, Sir.« Nach einer respektvollen Pause zog Casimir einen Notizblock aus dem Rucksack und legte ihn auf Sharons Schreibtisch. »Jedenfalls wird es mein Zuhause sein, sobald Sie diese Formulare unterschrieben haben. Mrs. Santucci reißt mir die Arme ab, wenn ich sie ihr morgen nicht zurückbringe.«
    Sharon blieb so lange reglos sitzen, bis Casimir sich unwohl fühlte. »Ja«, sagte er schließlich, »ich schätze, Sie müssen sich auch um Formulare sorgen. Formulare, Formulare, Formulare. Mir ist das alles einerlei.«
    »Oh. Wirklich? Sie gehen doch nicht in Pension, oder?«
    »Doch, ich denke ja.«
    Wortlos sortierte Sharon die Formulare und breitete sie auf dem Periodensystem der Elemente aus, das seinen Schreibtisch bedeckte. Er studierte sie einige Zeit mit großer Sorgfalt, dann wählte er einen Kugelschreiber aus einem Bierkrug auf seinem Schreibtisch, der von Enrico Fermi und Niels Bohr signiert war, und unterschrieb sie.
    »So, nun sind Sie in guten Vorlesungen«, bekräftigte er. »Schön zu sehen, daß Sie sozioökonomisch so gut integriert sind.« Der alte Mann lehnte sich in seinem Sessel zurück, verschränkte die Finger auf der flachen Brust und machte die Augen zu.
    Ein donnerndes Krachen, und Casimir sprang auf; er hatte Staub in der Kehle und Mörteltrümmer im Kragen. Geröll regnete von oben herab, Casimir hörte einen lauten, unmelodischen Klavierakkord, der einen Augenblick hielt und dann langsam immer tiefer wurde, bis er in einem explosionsartigen splitternden Krachen unterging. Noch mehr Geröll flog in dem Zimmer herum, größere Verputzbrocken regneten auf Casimir herab. Als er sich den Staub aus den Augen gerieben hatte und nach unten sah, erblickte er Dutzende verstreute schwarze und weiße Klaviertasten.
    Sharon saß zusammengesunken an seinem Schreibtisch,

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