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Big U

Big U

Titel: Big U Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Neal Stephenson
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seltsam?« fragte Hyacinth. »Ich finde, sie sind ziemlich normal.«
    »Genau das befürchte ich ja. Dein Zimmer ist sehr hübsch, ich fühle mich richtig heimisch hier.« Es war ein hübsches Zimmer, eines der wenigen Zimmer im Plex, die ich je sah, in denen man sich gern aufhielt. Es war vollgestopft mit illegalen Kochutensilien und Lebensmittelvorräten, die Wände waren verbotenerweise weiß gestrichen. Überall Bilder und Topfpflanzen.
    »Also, wir waren in der Armee – Lucy und ich«, sagte Hyacinth, die den Stummel sorgfältig in einen Smallholder klemmte. »Das ist fast wie LSD.«
    Inzwischen war der Flügel evakuiert und zwei Wachleute stapften durch die Flure und taten so, als suchten sie nach Rauch. Sarah und Hyacinth beugten sich zueinander und unterhielten sich leise.
    »Du bist gar nicht wie eine Vorsitzende«, sagte Hyacinth. »Leute wie du sollten kein LSD nehmen.«
    »Ich nehme auch keins mehr. Weißt du, als ich vierzehn war, da fuhr meine ältere Schwester echt darauf ab, und ich hab ein paarmal mitgemacht.«
    »Warum hast du aufgehört?«
    Sarah sah mit zusammengekniffenen Augen in den Milchkarton und sagte nichts. Draußen verfluchten die Wachmänner Studenten im allgemeinen. Sarah sagte schließlich: »Ich beobachtete meine Schwester, und als ich sah, daß sie vollkommen abdrehte – völlig den Kontakt mit der Wirklichkeit verlor und sich nichts daraus machte –, da wurde mir klar, daß es nicht gesund ist.«
    »Und jetzt bist du Vorsitzende. Kapier ich nicht.«
    »Es ist wichtig, sein Leben irgendwo zu verankern. Ich finde, man muß irgendwie Kontakt mit der Welt halten, und eine Möglichkeit besteht darin, sich zu engagieren.«
    »Studentenausschuß?«
    »Jedenfalls besser als MTV.«
    Ein Wachmann klopfte, vom Lärm der Stereoanlage angelockt, an ihre Tür.
    »Verpiß dich«, sagte Hyacinth in einem lauten Bühnenflüstern und zeigte der Tür den Stinkefinger. Sarah verbarg das Gesicht in den Händen und krümmte sich vor unterdrücktem Gelächter. Als sie sich wieder erholt hatte, war der Wachmann gegangen, und Hyacinth lächelte strahlend.
    »Herrgott!« sagte Sarah. »Du nimmst kein Blatt vor den Mund, was?«
    »Wenn du den höflichen Typ bevorzugst, geh zu den Luftköpfen.«
    »Du hast schon mit solchen Leuten zusammengelebt. Warum schmeißen sie dich nicht einfach raus?«
    »Weil ich Alibifunktion habe. Sie brauchen Leute wie mich. Lucy ist ihre Alibischwarze, ich bin ihre Alibiindividualistin. Sie haben gern ein Großmaul um sich, das nicht ihrer Meinung ist – gibt ihnen das Gefühl von Vielfalt.«
    »Glaubst du nicht, daß Diplomatie wirkungsvoller wäre?«
    »Ich bin keine Diplomatin. Ich bin ich. Wer bist du?«
    Anstatt diese schwierige Frage zu beantworten, lehnte sich Sarah gemütlich an die Wand und machte die Augen zu. Sie hörten lange Zeit Musik, während die Luftköpfe in den Flügel zurückströmten.
    »Ich würde mich entspannt fühlen«, sagte Sarah, »aber irgendwie hab ich Schuldgefühle, daß ich das Herumreichen der Kerze verpaßt habe.«
    »Das ist albern.«
    »Du hast recht. Du kannst das sagen und deiner Sache vollkommen sicher sein, richtig? Ich bewundere dich, Hyacinth.«
    »Ich mag dich, Sarah«, antwortete Hyacinth, und damit war alles gesagt.
    In der Physikbibliothek las Casimir Radon über Quantenmechanik. Die digitale Armbanduhr am Handgelenk des schlafenden Kommilitonen auf der anderen Seite des Tischs zeigte 8:00 Uhr. Das bedeutete, daß es Zeit war, nach oben zu gehen und Professor emeritus Walter Abraham Sharon zu besuchen, der zu den seltsamsten Uhrzeiten arbeitete. Aber Casimir ging noch nicht. Er hatte festgestellt, daß Sharon nicht der flinkste Mann der Welt war, und auch wenn der Professor keinesfalls verärgert war, wenn er pünktlich erschien, zog Casimir es vor, zehn Minuten zu spät zu kommen. Wie auch immer, in der zwanglosen Atmosphäre des physikalischen Seminars betrachtete man Termine mit einer gewissen Heisenbergschen Skepsis, als verstieße es gegen ein Naturgesetz, zur rechten Zeit am rechten Ort zu sein, weswegen es von vornherein unmöglich war. Vor den Panoramafenstern der Bibliothek erfüllte ein dunstiges Licht die Gettos der Stadt, hin und wieder schoß ein Meteor vorbei und ging unten auf der Zufahrt in Flammen auf. Natürlich waren es keine richtigen Meteore, lediglich verschiedene Gegenstände, die mit Feuerzeugbenzin getränkt, angezündet und von einer Etage des E-Turms geworfen wurden, so daß sie auf ihrem Weg erdwärts

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