Big U
eine Spur aus Flammen und Trümmern hinter sich herzogen.
Das fand Casimir auf eine perverse Weise tröstlich. Es war genau die Art von Wahnsinn, der er in seiner ersten Woche an der Amerikanischen Megaversität nicht entrinnen konnte. Es dauerte nicht lange, da nahm der unglückliche Casimir mein Angebot an, jederzeit bei mir vorbeizuschauen, stand kurz vor Mitternacht vor meiner Tür und wollte weinen, traute sich aber nicht. Ich trank Kaffee, er Wodka, und schon bald verstanden wir uns ein wenig besser. Wie er sich ausdrückte, nahm niemand hier Rücksicht auf andere oder konnte auch nur in bescheidenem Umfang selbständig denken; diese Mischung war für einen Erwachsenen nur schwer erträglich. Auch die Akademiker konnten ihn nicht trösten; aufgrund des mittelalterlichen Tempos der Bürokratie steckte er immer noch in der Kindergartenphysik fest. Natürlich konnte er die Vorlesungen allein durch seine Anwesenheit beschleunigen. Wann immer ein Professor eine Frage stellte, rhetorisch oder nicht, rief Casimir sofort die Antwort in den Saal. Das trug ihm den Haß und die Ehrfurcht seiner Kommilitonen ein, bildete aber die einzige Quelle seiner Befriedigung. Während er darauf wartete, daß die Situation geklärt wurde, besuchte er die Vorlesungen, die er tatsächlich besuchen wollte, und absolvierte damit de facto ein doppeltes Pensum.
»Weil ich sicher bin, daß Sharon mir Gerechtigkeit widerfahren läßt«, hatte Casimir erklärt und zum erstenmal lauter als nur murmelnd gesprochen. »Der Typ hat den Durchblick! Er ist wie du, und ich kann nicht verstehen, wie er an so einem Ort enden konnte. Ich hätte mir nie träumen lassen, daß mich einmal einer überraschen würde, nur weil er ein sensibler und guter Mensch ist, aber hier kommt das einem Wunder gleich. Er interessiert sich für mich, stellt Fragen nach meinem Leben – es ist, als wäre es ein Forschungsprojekt, an dem wir als Team arbeiten, herauszufinden, was am besten für mich ist. Ich kann nicht glauben, daß ein großer Mann wie er sich für so etwas interessiert.« Lange, ernste Pause. »Aber ich glaube, nicht einmal er kommt dagegen an, was mit dieser Institution nicht stimmt. Wie ist es mit dir, Kumpel? Du bist normal. Was machst du hier?« Da ich darauf keine Antwort wußte, wechselte ich das Thema und sprach von Basketball.
Ein Trio Meteore schoß an den Panoramafenstern vorbei, und es war 8:10 Uhr. Casimir brachte sein Buch zurück und ging auf den dunklen, glänzenden Flur hinaus. Er befand sich nun im oberen Bereich des Bunkers, des Blocks im Plex, wo die Naturwissenschaften untergebracht waren. Zwei Stockwerke über ihm, im sechsten und obersten Stock der Basis, lag Emeritus Row, die feudalen Büros der akademischen Superstars. Er begab sich entspannt dorthin, weil er wußte, daß er willkommen war.
Emeritus Row war dunkel und still, lediglich ein warmer gelber Lichtschein um Sharons Tür herum spendete Helligkeit. Casimir nahm seine Gletscherbrille ab. »Herein«, erklang die sonore Antwort auf sein Klopfen, worauf Casimir Radon sein liebstes Zimmer auf der ganzen Welt betrat.
Sharon sah ihn mit hochgezogenen Augenbrauen an. »Schau an! Haben Sie eine Entscheidung getroffen?«
»Ich denke ja.«
»Dann raus damit! Gehen Sie oder bleiben Sie? Zum Wohle der Physik hoffe ich letzteres.«
Plötzlich wurde Casimir klar, daß er sich noch nicht entschieden hatte. Er steckte die Hände in die Taschen und atmete tief durch, da ihn das etwas überraschte. Aber er konnte nicht verhindern, daß er lächelte, und Sharons heimelig-chaotisches Büro verfehlte seine Wirkung nicht. Er verkündete, daß er bleiben würde.
»Gut, gut«, sagte Sharon zerstreut. »Machen Sie sich einen Sitzplatz frei.« Er zeigte auf einen Stuhl und Casimir machte sich daran, rund fünfzehn Kilo Hochenergiephysik wegzuräumen. Sharon sagte: »Sie haben also beschlossen, den Rubikon zu überqueren, ja?«
Casimir setzte sich, dachte darüber nach und antwortete mit einem halben Grinsen. »Oder den Styx, wie auch immer.«
Sharon nickte, im selben Moment ertönte ein Pol-tern von oben. Casimir sprang auf, aber Sharon reagierte gar nicht.
»Was war das?« fragte Casimir. »Hat sich nach etwas Großem angehört.«
»Ach«, sagte Sharon. »Sie werfen wieder Möbel, denke ich. Sie wissen doch, daß sich viele unserer Studenten sehr für die Physik fallender Körper interessieren, oder nicht?« Das präsentierte er langsam und feierlich, wie alle seine schlechten Witze, als
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