Big U
Er nahm zwei Stufen auf einmal und Virgil hechelte hinterher.
Wenig später stellte Casimir die Gasflasche neben Sharon auf den Boden. Bert Nix hielt Sharons Hand, murmelte und bekreuzigte sich ab und an. Als Virgil die Tür schloß, griff Casimir mit ausgestrecktem Arm nach dem obersten Ventil, drückte ein Ohr an die Schulter und drehte es auf. Virgil hatte gerade noch Zeit, sich die Ohren zuzuhalten.
Ein schreckliches Zischen, wie das Kreischen eines verwundeten Drachen, ertönte in dem Raum. Der enorme Druck des entweichenden Sauerstoffs schlug Casimirs Hände zur Seite. Papiere stoben wie in Schneesturm in die Höhe, Klaviertasten sausten über den Boden. Bert Nix achtete gar nicht darauf, sondern steckte erst Sharon und dann sich selbst Kleenex in die Ohren.
Nach einer Minute atmete Sharon leichter. Zur selben Zeit loderte die Asche in seiner Pfeife, durch den hohen Sauerstoffgehalt entfacht, zu einem kleinen Freudenfeuer auf. Casimir wollte es gerade austreten, als Virgil ihn behutsam wegschob; er war klug genug gewesen, auf dem Weg nach oben einen Feuerlöscher aus der Wandhalterung zu reißen. Als das Feuer gelöscht war, leistete Virgil Sharon so gut es ging erste Hilfe. Casimir ging in den Bunker zurück, suchte einen Fahrstuhl und holte mehr Sauerstoff und ein Druckventil. Mit einem Müllsack gelang es ihnen, ein behelfsmäßiges Sauerstoffzelt aufzubauen.
Eine Stunde später traf das Notarztteam ein. Die Notärzte luden Sharon auf und rollten ihn weg, derweil Bert Nix ihnen Sharons Leibspeisen aufzählte.
Ich kam auf dem Weg dorthin an der Prozession vorbei – Casimir hatte angerufen und mir die Neuigkeiten mitgeteilt. Als ich unter der Tür von Sharons Büro stand, bot sich mir ein unvergeßlicher Anblick: Virgil und Casimir bis zu den Knien in Trümmern; ein Schreibtisch mit den aufgerissenen Verpackungen von Binden und Medikamenten; Virgil hielt einen Stapel verkohlte, vom Schaum des Feuerlöschers verklebte Formulare in die Höhe und Casimir lachte unter dem offenen Himmel aus vollem Halse.
OKTOBER
Vorne im Auditorium sprach Professor Embers. Er dozierte nicht; er sprach. In der Mitte des Auditoriums lehnte sich sein fünfhundertköpfiges Publikum auf den Sitzen zurück und betrachtete offenen Mundes das Bild des Professors im nächstgelegenen Farbbildmonitor. Hinten im Auditorium saß Sarah im Halbdunkel und versuchte, den Etat des Studentenausschusses auszugleichen.
»Grammatik ist also nur der Modus, in dem wir uns abstrakte Konzepte bildlich machen«, sagte der Professor. »Grammatik ist wie die Wände und Hindernisse eines Flipperautomaten. Rhetorik ist wie die Flipper eines Flipperautomaten. Sie bedienen die Flipper. Der Rest der Maschine – Grammatik – steuert alles andere. Wenn Sie die Flipper gut bedienen, machen Sie Punkte. Wenn es Ihnen nicht gelingt, Ihre Konzepte bildhaft begreiflich zu machen, fällt Ihre Kugel ins schwarze Loch des Nichts. Wenn Sie versuchen, zu betrügen, tilt die Maschine und Sie verlieren – das ist, als würden die Menschen Ihre Interaktion nicht verstehen. Darum müssen wir hier im ersten Semester Grammatik lernen. Darum, und weil S. S. Krupp sagt, daß wir es müssen.« Es folgte eine Pause von mehreren Sekunden, dann lachten rund hundert Leute. Sarah nicht. Im Gegensatz
zu den Grünschnäbeln, die Professor Embers für einen coolen Typen hielten, hielt Sarah ihn für einen Langweiler und eine Kröte. Er sprach weiter, und sie rechnete weiter.
Das war der Etat für dieses Semester und hätte letztes Semester schon aufgestellt werden müssen. Aber die Unterlagen des letzten Semesters waren durch einen mysteriösen Computerfehler verschwunden, und nun mußte Sarah sie rekonstruieren, damit der Studentenausschuß seine Budgetierung fortsetzen konnte. Sie bekam dabei ein wenig Hilfe von mir, allerdings weiß ich nicht, ob das tatsächlich etwas genützt hat. Wir hatten uns Anfang des Jahres bei einem Fakultätstreffen kennengelernt, waren danach ein-oder zweimal essen gegangen und hatten uns über die Amerikanische Megaversität unterhalten. Immerhin war meine Suite ruhig und angenehm, sie konnte ihre Unterlagen dort ausbreiten und ungestört arbeiten, wenn es sein mußte.
Außerdem konnte sie in ihrer Erstsemester-Englischvorlesung ungestört arbeiten, weil sie Englisch in einem höheren Semester mit einem Schnitt von 3,7 als Hauptfach studierte und nicht weiter zuhören mußte.
Den ersten Eindruck, daß etwas nicht stimmte, hatte sie Mitte
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