Big U
fernere Läuten der Alarmanlage von E12O war über den leisen nächtlichen Beat von Maris Stereoanlage hinweg nicht zu hören gewesen, und als ihr endlich klar wurde, was passiert war, und die Abendlicht simulierenden Neonröhren über ihrem Make-up-Zentrum eingeschaltet hatte, heulten die Sirenen schon aus dem Todesstrudel unten herauf.
Der Feuerwehrhauptmann zeigte sich alles andere als amüsiert. Nachdem er eine Woche lang gerüchteweise als Nazi und Perverser geschmäht worden war, hatte er beschlossen, daß die Feuerwehrleute künftig bei allen Übungen mit ihren Hauptschlüsseln von Tür zu Tür gehen und sicherstellen sollten, daß alle ihre Zimmer unverzüglich verließen. Diese grausame Vorschrift zog eine Versammlung des gesamten Flügels nach sich, bei der Hyacinth resigniert vorschlug, daß sie sich alle, da es draußen ohnehin kalt wurde, Skimasken zulegen und diese bei Feuerübungen bis hinaus ins Freie tragen sollten. »Bleibt zusammen und ihr werdet vollkommen anonym sein, womit ich meine, niemand wird wissen, wer ihr seid und wie ihr um drei Uhr morgens ausseht.« Die Luftköpfe beauftragten Teri, die im Hauptfach Textilgroßhandel studierte, mit dem Erwerb von Skimasken in einem akzeptablen Farbspektrum.
Insgeheim erfand Hyacinth eine Abkürzung für sie: SWASPer. Das bedeutete, als absolutes Minimum hielten sie für erforderlich, alle Stellen ihres Körpers mindestens einmal täglich zu Spülen, Waschen, Ankleiden, Schminken und Parfümieren. Angesichts ihrer Beharrlichkeit, dies zu tun, machte sich Sarah oft Gedanken über ihr eigenes Aussehen – sie verwendete Kosmetika nur in geringem Umfang –, aber Hyacinth und ich und alle anderen versicherten ihr, daß sie gut aussähe. Als sie sich auf die lange, garstige Etatberatung des Studentenausschusses Anfang November vorbereitete, suchte Sarah kurz in ihrem Schuhkarton nach verschiedenen Schminkutensilien, schob sie aber wieder unter das Bett. Sie mußte sich um wichtigere Dinge kümmern.
Was die Kleidung anging, so lief es auf die Entscheidung zwischen ihrer professionellsten Kluft, einem grauen Wollkostüm, und einem etwas helleren Kleid hinaus. Sie entschied sich für das Kostüm, obwohl sie wußte, daß sie sich damit Faschismusvorwürfe des Stalinistischen Untergrund-Bataillons (SUB) einhandeln würde, steckte das Haar zu einem Knoten hoch und breitete sich auf den Wahnsinn vor.
Das SUB war eine Stunde vor allen anderen da, pflanzte sein Spruchband auf und verteilte seine tollwütigen Flugblätter, bevor sich der Studentenausschuß auch nur sehen ließ. Wir trafen uns im einzigen einigermaßen abgeschiedenen Raum, den wir finden konnten. Hinter uns kamen die Fernsehteams und dann die Reporter des Monoplex Monitor und der People’s Truth Publication, die in der ersten Reihe saßen, unmittelbar vor den Stalinisten. Zuletzt strömten die Lobbyisten verschiedener Organisationen in den Hörsaal 3, die allesamt zutiefst schockiert und bestürzt darüber waren, wie wenig finanzielle Mittel sie erhielten, und samt und sonders Umverteilungsvorschläge in den Taschen hatten.
Zuerst quälten wir uns durch die parlamentarischen Trivia, einschließlich eines kleinen bißchens »new business«, wobei das SUB eine Resolution einbrachte, die Verwaltung wegen massiver Menschenrechtsverletzungen zu verurteilen und ihre Absetzung zu fordern. Dann kamen wir zum eigentlichen Zweck der Versammlung: Änderungen am geplanten Etat. Eine Schlange bildete sich hinter dem Mikrofon auf der Bühne, allen voran ein Mitglied des SUB. »Ich beantrage«, sagte er, »daß wir überhaupt keinen Etat verabschieden, da der Etat von der Verwaltung genehmigt werden muß und wir somit keine Kontrolle über das Geld für unsere eigenen Veranstaltungen haben.« Auf dieses Stichwort hin standen hinter den Pressevertretern acht SUBler auf und hielten ein langes Transparent hoch: ENTREISST DER KRUPP-JUNTA DIE MACHT ÜBER DAS KAPITAL DER STUDENTEN. »Das Geld gehört uns, das Geld gehört uns, das Geld gehört uns …« Mit alledem hatten wir gerechnet, daher blieb Sarah gelassen. Sie lehnte sich von ihrem Mikrofon zurück, trank einen Schluck Wasser und ließ die Medien das Ereignis für kommende Generationen aufzeichnen. Danach schlug sie ein paarmal mit ihrem Hammer auf den
Tisch und brachte sie dazu, sich wieder zu setzen. Sie wollte gerade wieder das Wort ergreifen, als der letzte stehende SUBler rief: »Der Studentenausschuß ist ein Werkzeug des Krupp-Kaders!«
Hinter ihm
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