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Big U

Big U

Titel: Big U Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Neal Stephenson
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verstanden, die Unterscheidung zwischen Technologie und Magie respektiert und genug Disziplin gezeigt, diese Teilung zu gewährleisten. Aber in den vergangenen Generationen war Unwissenheit über diese Stätte der Perfektion gekommen, und der Zusammenbruch hatte seinen Lauf genommen. Jüngeren Generationen von Plexorianern fehlte der Enthusiasmus und die Hingabe ihrer Vorfahren, und sie ließen eine Unwissenheit erkennen, die nicht selten schockierend war; in jüngster Zeit setzte sich mehr und mehr die Überzeugung durch, daß Plexor gar kein frei schwebendes Ökosystem
    war, sondern vielmehr eine an ein bestimmtes Universum gebundene planetoide Struktur. Hin und wieder, das stimmte, materialisierte sich Plexor am Boden in einer riesigen Stadt oder einem barbarischen Königreich. Seine Schöpfer, eine Gilde von Zauberern und Magiern, die durch die Vermittlung von Keldor in verschiedenen Universen operierten, hatten ihn so erschaffen, daß er in jedem Habitat autark und lebenserhaltend war, und mit einem Vorrat an Kernbrennstoff versehen, der ewig reichte. Aber der Glaube, daß da draußen immer ein und dieselbe Welt wartete, das war eine derart gravierende Blindheit der Realität gegenüber, daß es in dieser Kolonie gebildeter Technokraten auf nackten Primitivismus hinauslief. Es handelte sich, mit einem Wort, um einen Zusammenbruch – ein Verschwimmen der Grenze –, und diese Grenze zwischen den Universen war derart empfindlich, daß allein die Unwissenheit um ihre Existenz, bloßes Zusammenbruch-orientiertes Denken und Zusammenbruchbeförderndes Verhalten ausreichten, winzige Lecks zwischen Magie und Technologie aufzureißen und so eine unheilige Mischung dieser beiden Gegensätze herbeizuführen. Es war die Pflicht der verbliebenen Hüter des alten Wissens, zu denen auch Klystron/Chris gehörte, solche Vermischungen zu beseitigen und die einstige Reinheit der beiden Existenzen des Plexor wieder herzustellen.
    Innerhalb von nur wenigen Wochen waren aus den Lecks Löcher geworden, die Mischung ununterscheidbar. Jetzt saßen Barbaren ungehindert an Computertastaturen im Rechenzentrum und versuchten am hellichten Tag kläglich, Programme laufen zu lassen, die so vor Fehlern strotzten, daß die verdammten Dinger nicht einmal funktionierten, während ihre jüngsten Opfer blutend zwischen ihren Füßen lagen und auf den Gnadenstoß warteten. Riesenratten aus einer anderen Existenzebene liefen frei durch die Kanalisation der mächtigen technologischen Zivilisation, und Chris der Systemanalytiker fand allerorten Schmutz und Knochen auf dem Boden, denen das Mark ausgesaugt worden war, defekte Lichtschalter, Graffiti, Lärm, Unwissenheit. Er beobachtete diese Vorkommnisse, war aber noch nicht bereit, ihnen die Bedeutung beizumessen, die ihnen zukam, und entwickelte bald einen sechsten Sinn für das Aufspüren von Lecks. Das war an und für sich schon ein Fall von Vermischung; in einem technologischen Universum war so etwas wie ein sechster Sinn schlechterdings unmöglich. Seine neue Intuition lieferte den Beweis dafür, daß Klystron des Pfählers Kraft in ein Universum abfloß, wo sie nicht hingehörte. Da ihm das nur allzu deutlich bewußt war und er sich unbedingt vor den Unwissenden schützen wollte, hatte Klystron/Chris es für klug gehalten, den zwanglosen Codenamen Fred Fine anzunehmen.
    Er hatte zu lange die Augen vor dem verschlossen, was unausweichlich auf ihn zukam. Trotz seiner überragenden Intelligenz zögerte er, seine eigene riesige persönliche Bedeutung einzusehen.
    Bis zum Tag der Essensschlacht; an dem Tag wurde ihm die ganze düstere Zukunft bewußt, die ihm und Plexor bevorstanden.
    Es geschah beim Abendessen. Für die meisten in der Mensa war es nur eine Essensschlacht, aber für »Fred Fine« handelte es sich um etwas ungleich Bedeutsameres, ein Scharmützel vor dem bevorstehenden großen Krieg, ein Byte strategischer Daten, die es sorgsam zu verarbeiten galt.
    Er hatte über eine abstrakte Art von Programmstruktur nachgedacht und dabei geistesabwesend die namenlose Proteinsubstanz vom Tablett zum Mund geführt, als ein Gefühl des Seltsamen sein Bewußtsein trübte und die Gedanken vertrieb. Als er wachsam aufschaute, bemerkte er gleichzeitig, a) daß das Essen gräßlich schmeckte, b) die Mensa überfüllt und laut war und c) überall Lecks entstanden waren. Sein Verstand war jetzt so wach wie der von Klystron vor einem Nahkampf, als er den Blick aus seiner sicheren Ecke (nur eine von vier

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