Biker's Barbecue (German Edition)
Verfallenes. Irgendwann muss diese Stadt mit einem letzten, gequälten Seufzer ihre Seele ausgehaucht haben. Abseits der verwaisten Hauptstraße machen oberwichtelige Kindercliquen mit ihren quietschenden Prolo-Kisten die „Neighborhood“ unsicher. Nur ganz oben auf dem Stadthügel stehen ein paar bessere Häuser.
Vor der Kirche, in der wir heute zu übernachten trachten, zerstreut eine Frau unsere Befürchtung, dass hier „tote Hose“ ist: „Usually there are more cars on the road …“
Abendessen beim örtlichen Chinesen: Der Name „Lucky Seven“ ist wirklich treffend gewählt, denn tatsächlich hat der Besitzer großes Glück, dass die hiesige Bevölkerung gewillt ist, sieben Dollar (und mehr) für eine durchschnittliche Mahlzeit zu bezahlen – für diese Gegend (wir sind ja nicht auf der 5 th in New York) eine unvorstellbare Summe. Wir beschließen, uns unser Abendessen diesmal selbst zu subventionieren und sparen ausnahmsweise das Trinkgeld ein.
Grenzflüsse
Wenn man in Irving Stones „Men to Match my Mountains“ oder Hugh Brogans „History of the United States“ über die Pioniere des Westens nachliest, dann kann man erahnen, was für eine Hürde die großen Ströme im Norden des Kontinents für die ersten Siedler bedeuteten. Diese Hürden sind natürlich Vergangenheit. Die einst so unüberwindlichen Grenzflüsse lassen sich in wenigen Augenblicken passieren. Aber der Effekt solcher natürlicher Barrieren auf Land und Leute ist bis heute spürbar:
Als die Wellen der amerikanischen Kolonisation auf die Wellen von Mississippi und Missouri trafen, hinterließ das deutliche Spuren. Der Mississippi wurde das, was er heute ist: eine fließende Grenze vom Osten zum Mittleren Westen und zugleich die Schwelle zu jener kleindörflichen und bäuerlichen Herzlichkeit, die wir noch vor wenigen Tagen am eigenen Leib erfahren durften.
Der Missouri bildet dafür den natürlichen Weidezaun für den rauen Westen: Ackerland weicht schlagartig der Prärie (so hatten wir uns zumindest die „Prärie“ immer vorgestellt), den Pick-up-Fahrern wachsen auf einmal Cowboyhüte auf dem Kopf, und auf jeder zweiten Wiese kaut irgendein „Jolly Jumper“ verschlafen an den Resten seiner morgendlichen Salatration.
3.
Warm winds blowing,
heating blue sky,
and a road that goes forever … Chris Rea
Am Morgen warten wir eine durchziehende Gewitterfront ab und fassen den Entschluss, heute nach White Rivers zu fahren, um dort den amerikanischen Unabhängigkeitstag zu feiern (irgendein Scherzbold hatte uns nämlich erzählt, dass man das, ähnlich wie Neujahr, um Mitternacht tut …).
Das gestrige Schild („Winner – where the West begins“) entsprach präzise den Tatsachen: Der Westen beginnt, wenn man auf der 44 aus Winner rauskommt. Eine malerische Strecke führt durch offene Landstriche voll strömender, wogender, atmender Kraft: Endlose Weizenfelder gehen fließend in wilde Prärie über. Es duftet nach Kräutern, und die Straße ist nur ein dünner Strich in einem Ozean aus gelb blühenden Gräsern. Dann – nach einer Ewigkeit – eine Veränderung am weißlich schimmernden Horizont: Wieder eine Gewitterfront? Nein, Berge! Wie gigantische Ozeandampfer tauchen nach und nach Quader, Kegel und Pyramiden in der Ferne auf. An der Straße verdampft währenddessen die westliche Zivilisation in der Hitze.
Wir fahren durch Witten (25 Einwohner) und angeblich auch durch Mosher (jedenfalls war das Kaff auf unserer Karte eingezeichnet). Orte, so winzig, dass man sie kaum zu betreten wagt.
„Wood“ kündigt sich auf den Wegweisern an wie jede größere Provinzstadt in Österreich. Tatsächlich leben 35 Menschen hier. Dafür hat Wood immerhin eine Tankstelle und ein kleines Geschäft. – Da gerade Essenszeit ist, entscheiden wir uns (mangels irgendwelcher Alternativen) für schmackhafte, vollelastische Mikrowellen-Hamburger mit Cherry-Cola und freuen uns darüber, dass wir hier überhaupt etwas Warmes bekommen.
200 Meter nach dem Ortsschild von Wood ist die Straße plötzlich mit Tausenden von Heuschrecken übersät. Die folgenden Minuten gleichen einer Fahrt durch ein Minenfeld aus Popcorn. Ausweichen unmöglich – was bleibt, ist: Hemd in die Hose, Kragen hoch, Mund zu – und durch (bah!).
Bei 100 Grad Fahrenheit und (wie glücklich, überglücklich sind wir!) Rückenwind geht es an weit gestreuten Bisonherden vorbei. – Schließlich erreichen wir White Rivers. Mit Verwunderung stellen wir fest, dass hier
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