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Bilder Aus Dem Berliner Leben

Titel: Bilder Aus Dem Berliner Leben Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Julius Rodenberg
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ringsumher und »ein Vogel im Fluge« steigt darüber auf, eine wunderbare Rose blüht mitten in der Luft und ein »Rauchfaß Nr. 1« wirbelt seine Wolken dem Vogel nach – seltsame Fratzen grinsen aus den Ecken, die Choristen singen, das Ballett tanzt und die Theateruhr zeigt auf zwölf – Mitternacht. Nun ist die Stunde, wo die Visionen aus den Trinkstuben aufsteigen – »in der alten Pracht« –, aber nicht wie Tiecks »mondbeglänzte Zaubernacht«, sondern in der handgreiflichen Realität langer Speisezettel und noch längerer Weinkarten – und der Wundermann selbst ist da, Tieck, Ludwig Tieck, einst der Herrscher im Reiche der Romantik, er selbst ein Berliner Kind und geboren in der Roßstraße Nr. 1, jetzt ein wohlbeleibter Herr mit einem Regenschirm und neben ihm Brentano, spindeldürr, fast durchsichtig, den Hut tief in die Stirne gedrückt. Auch der Schlemihl ist da, der Peter, in seinem kurzen Röckchen, mit dem Tabaksbeutel und der Botanisiertrommel genau das Ebenbild Chamissos – und hier ist Hoffmanns Feder und vielleicht auch seine Seele, so voll, daß ein tüchtiger Tintenfleck – »ein Klecks« schreibt er zur Erklärung daneben – auf die Stelle fällt, wo des Vaterlandslosen Schatten hätte seinsollen. Und hier endlich ist er in eigner Person, der Herr Kammergerichtsrat, sein Profil mit der feinen, aber gebogenen und stark vorspringenden Nase, dem mit den Augenbrauen fast zusammengewachsenen Haar und gegen die Mundwinkel gezogenen Backenbart, gleich einem spitzwinkligen Dreieck, das Kammergericht weit oben; im fernsten Hintergrund, aber ihm dicht gegenüber und den Qualm seiner langen Tabakspfeife ihm vergnüglich ins Gesicht blasend, der »Schauspieler Devrient«, Ludwig, der Größte dieser Dynastie von Großen, mit hohen Vatermördern und Zügen voll Bonhomie – und in jeder Weinstube des Quartiers kehrt dieses par nobile fratum wieder, als ob es allgegenwärtig wäre: bei »Lutter und Wegner«, wo noch ihr Geist umgeht und man sich einbilden kann, daß dieselben Wände herniederblicken auf dieselben Tische, dieselben Stühle; »bei Schoner«, heute Rähmel, einem gleichfalls noch immer sehr beliebten Lokal, an der Markgrafen- und Taubenstraßen-Ecke, dem Schauspielhaus querüber. Hier aber, im Musentempel, während sein bester Schauspieler zecht in den alten Häusern, die heute noch an ihn erinnern, sehen wir den Grafen Brühl, den Intendanten in Hoftracht, mit dem Galadegen, wie er händeringend einen Haufen anstürmender Dichter beschwört, seinen Kapellmeister Weber jedoch – denn im damaligen Berlin gediehen die Kunst und die Künstler! – ein rundliches Männchen mit Schmerbauch und langer Weste, schwebend über einem ungeheuren Beefsteak, mit einem Glase Madeira links, einem Glase Chambertin rechts und dem kleinen Johannes Kreisler mit untergeschlagenen Armen daneben.
    Das war Hoffmanns Berlin, und »so wohnte der Teufelskerl! Hier ist die Ecke – schaut hier unten rechts auf mein Blatt, hier, wo eben der Baron von Fouque vorbeifährt. Er kommt gerade aus Neunhausen, seiner Burg bei Rathenow. Hei! Wie der wackre Recke dahinjagt! ...Fahr zu, Knappe! Aber fahre mir nicht durch die Gemüseweiber, denn ich sehe das Äpfelweib meines Lieblings, des Studenten Anseimus, dazwischen sitzen« ... Aber sie jagt unaufhaltsam dahin, die Karosse, die den Ritter Undinens mit wehendem Helmbusch davonträgt – hinterher kommt noch ein genialer Gassenjunge, der in der romantischen Schule seine »angenehmsten Jugendjahre verlebt und zuletzt den Schulmeister geprügelt« hat (Heine, Vorrede zum »Atta Troll«) – dann aber ist es aus, und es gibt keine Romantik mehr, weder in der Literatur noch auf dem Gendarmenmarkt. Sogar die Gemüseweiber sind von letzterem verschwunden; und von allen Bestien, mit welchen Hoffmann ihn einst bevölkert, existiert nur eine noch, der Löwe nämlich, aber der ist aus Papiermache, und er stößt jedesmal ein fürchterliches Gebrüll aus, wenn dort, in dem turmgekrönten Palast an der Ecke der Charlotten- und Französischen Straße, dem »Löwenbräu«, ein neues Faß angestochen wird. Mit dem Biere scheint die Welt lauter geworden zu sein. Unsre Väter und Vorväter, welche Wein tranken (und zwar sehr vielen und »extrafeinen Rum« obendrein), taten es stiller; und stiller und traulicher war es hier in dieser Gegend, als er noch dort oben hauste, an »des Vetters Eckfenster«, welches er in der Erzählung gleichen Namens – es war eine seiner letzten – verewigt

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