Bilder Aus Dem Berliner Leben
hat.
»Es ist nötig zu sagen, daß mein Vetter« – der Vetter war Hoffmann selbst – »ziemlich hoch in kleinen, niedrigen Zimmern wohnt. Das ist nun Schriftsteller- und Dichtersitte. Was tut die niedrige Stubendecke? Die Phantasie fliegt hoch empor und baut sich ein hohes, lustiges Gewölbe bis in den blauen, glänzenden Himmel hinein ... Dabei liegt aber meines Vetters Logis in dem schönsten Teile der Hauptstadt, nämlich auf dem großen Markte, der von Prachtgebäuden umschlossen ist und indessen Mitte das kolossal und genial gedachte Theatergebäude prangt. Es ist ein Eckhaus, was mein Vetter bewohnt, und aus dem Fenster eines kleinen Kabinetts übersieht er mit einem Blick das ganze Panorama des grandiosen Platzes.« Der Platz ist der Gendarmenmarkt und das Theatergebäude das Königliche Schauspielhaus; und nun beschreibt Hoffmann das bunte Treiben eines Markttages mit seinen Buden und Ständen, Verkäufern und Verkäuferinnen, Köchinnen und Damen, so wie wir es alle noch gekannt, bevor die Markthallen es in sich aufgenommen und zum besten Teil unserer Beobachtung entzogen haben. Aber der Vetter ist nicht mehr derselbe: die Krankheit, von der er nicht genesen wird, fesselt ihn an das Eckfenster. »Vetter!« sprach er eines Tages zu mir, mit einem Ton, der mich erschreckte, »Vetter, mit mir ist es aus! Ich komme mir vor wie jener alte, vom Wahnsinn zerrüttete Maler, der tagelang vor einer in den Rahmen gespannten, grundierten Leinwand saß und allen, die zu ihm kamen, die mannigfachen Schönheiten des reichen, herrlichen Gemäldes anpries, das er soeben vollendet – ich geb's auf, das wirkende, schaffende Leben ...« Der Erzähler – denn das Ganze wird in Form eines Dialogs gegeben – versucht den Vetter zu trösten; der aber erwidert: »Dieser Markt ist auch jetzt ein treues Abbild des ewig wechselnden Lebens. Rege Tätigkeit, das Bedürfnis des Augenblicks, trieb die Menschenmassen zusammen, in wenigen Augenblicken ist alles verödet, die Stimmen, welche im wirren Getöse durcheinanderströmten, sind verklungen, und jede verlassene Stelle spricht das schauerliche: Es war! nur zu lebhaft aus.« – Es schlug ein Uhr; der Erzähler weist nach dem am Bettschirm befestigten Blatt, indem er sich dem Vetter an die Brust wirft und ihn heftig an sich drückt. »Ja, Vetter!« rief er mit einer Stimme, die mein Innerstes durchdrang und es mit herzzerschneidenderWehmut erfüllte, »ja Vetter: – Et si male nunc, non olim sic erit!« – Armer Vetter! ...
War er ein andrer oder nicht vielmehr in seinem innersten Wesen und einigermaßen in seinem Äußern derselbe schon, als er sich noch unter diese Menschen mischte? Denn nicht menschenscheu war er, im Gegenteil; aber eine Mitternachtsnatur, die bei den Freunden, in den frohen Gesellschaften und nicht selten im Rausch eine Zuflucht sucht, wie geängstete Kinder, die den Kopf im Schoße der Mutter bergen. Ein leidender, schmerzhaft gespannter Zug ist in seinem Gesicht. Er findet sich auf all seinen Porträts; er findet sich in dem berühmten Bilde bei Lutter und Wegner. Heine deutet ihn an in der kurzen Schilderung, die wir mitgeteilt, und Hoffmann selber bestätigt ihn mit den traurigen Worten dicht vor seinem frühen Tode, daß er unter der Last seiner Einbildungskraft zusammengebrochen sei. So genau kennt er sich, daß es oft ist, als ob er Furcht vor sich selber habe. Den Schatten, den sein eignes Ich wirft, bringt er gleichsam zum Leben und betrachtet ihn mit einer grausamen Kälte, Mit einem gewissen bittren Humor spricht er von dem »sechsten Sinne«, der ihm verliehen worden, von der Gabe nämlich, »an jeder Erscheinung, sei es Person, Tat oder Begebenheit, sogleich dasjenige Exzentrische zu schauen, zu dem wir in unsrem gewöhnlichen Leben keine Gleichung finden«. Er findet Ähnlichkeit zwischen sich und der Fledermaus, die nur im Finstern sieht, bei Licht aber, geblendet umherflatternd, vergeblich gegen die Decke fliegt. Für ihn ist immer Geisterstunde. Mit scharfem Blick dringt er in das, was dem blöderen Auge dunkel ist, und bemerkt an jeder Kreatur den Fleck, wo das Spiel des Dämonischen, das Unerklärte, das Unerklärliche beginnt, auch in dem allertrivialsten Dasein.
Seine Leidenschaft ist es, allein durch die Straßen zuwandeln, die begegnenden Gestalten zu betrachten, »ja, wohl manchem in Gedanken das Horoskop zu stellen«. Tagelang läuft er hinter ihm unbekannten Personen her, »die irgend etwas Verwunderliches in Gang, Kleidung,
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