Bilder Aus Dem Berliner Leben
Jahre später, in demselben Haus und demselben Zimmer ein zwanzigjähriger junger Mann gewohnt, gleichfalls ein gewaltiger Raucher, wenn er auch, selbst damals schon, kein Jakobinermützchen getragen haben wird, nämlich der Studiosus juris – Otto von Bismarck, der künftige Fürst-Reichskanzler. Er wohnte hier mit dem ihm befreundeten Motley, dem nachmaligen großen amerikanischen Historiker, als beide, Herbst 1833, von Göttingen nach Berlin gegangen waren. »Wir lebten daselbst«, dies sind Bismarcks eigne Worte, »im innigsten Verkehr miteinander, indem wir unsre Mahlzeiten und unsre Übungen gemeinschaftlich hielten ... Unser treuer Gefährte war Graf Alexander von Keyserling aus Kurland, welcher seither als Botaniker berühmt geworden ist ... Das letzte Malsah ich ihn (Motley) im Jahre 1872 in Varzin bei der Feier meiner silbernen Hochzeit.«
Wie seltsam doch der Zufall spielen kann, und welch eine Verkettung der Namen, indem wir nicht weiter gehen als von der Taubenstraße bis zu den Linden: Voltaire, Heine, Börne, Bismarck ...
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Unter den Berliner Notabilitäten, welche Heine zuweilen im Café Royal sah – Jagor gegenüber, auf der andren Seite der Linden, Nr. 44, da wo jetzt Arnims Hôtel ist –, zeigt er uns einen, »dort am Tisch das kleine bewegliche Männchen mit den ewig vibrierenden Gesichtsmuskeln, mit den possierlichen und doch unheimlichen Gesten ... Das ist der Kammergerichtsrat Hoffmann, der den Kater Murr geschrieben.« Hoffmann, unser unvergeßlicher E. T. A. Hoffmann, stand damals in seinem sechsundvierzigsten Jahr, welches er nicht lange überleben sollte. Der Brief Heines ist vom 26. Januar 1822 datiert, und am 24. Juli starb jener. Ein Zug innerer Verwandtschaft zog den jungen Poeten zu dem älteren, dessen Erzählungen sich ganz im Reich einer ergreifenden, vorwiegend düstren Phantastik bewegen. Von Heine war damals noch nichts erschienen als der Band Gedichte (Berlin, Dezember 1821), in deren »Traumbildern« er uns gewissermaßen auch seine »Phantasiestücke in Callots Manier« gibt und die, wenn an irgendeinen, an Hoffmann anklingen. Später hat der Gräberspuk und Mitternachtsgraus in Heines Dichtung sich zu lieblicher Elfen- und Blumenpoesie verfeinert, märchenhaft schimmernd von den bläulichen Sternen und irrenden Lichtern der Sommernacht, und der finstre Humor reift zur Ironie. Doch ihr Boden bleibt immer die Romantik, der als ein merkwürdiger Seitensproß E. T. A. Hoffmann entwachsen ist. »Der Teufel kann so teuflisches Zeug nicht schreiben«, sagt Heine von den Schriften Hoffmanns. Für uns Berliner habensie noch eine andre Bedeutung: das alte Berlin lebt in ihren Blättern. Nicht das des nüchternen Alltags, sondern eines, das unheimlich phosphoresziert, von seltsamen Gestalten erfüllt und dennoch wirklich ist in all seiner Unwirklichkeit; so wie er selber, der abwechselnd ein kleiner Beamter und Musikdirektor an Wanderbühnen war, ein Komponist, ein Schriftsteller, ein Maler und ein Genie in allen Dingen, und dennoch, trotz der Legende, die sich um sein abenteuerliches Leben gewoben, zuletzt ein guter Berliner Kammergerichtsrat geworden und als solcher verstorben ist. Sein Bild hat sich dem Gedächtnis der Berliner tief eingeprägt und wird daraus so bald nicht verschwinden. Er ist ein Stück jenes Berlins, welches nunmehr fast ganz dahingegangen; aber wir brauchen nur an ihn zu denken, so steht es wieder vor uns, wie er es gesehen hat mit dem gespenstisch blickenden Auge, welchem dennoch keine von den gewöhnlichen Realitäten entging, nur daß eine jede von seinem Licht etwas annahm.
Er hat in dem Eckhause der Charlotten- und Taubenstraße Nr. 31 gewohnt, den älteren Berlinern hauptsächlich wegen der Konditorei bekannt, welche von ihnen noch immer die Meyersche genannt wird, obwohl sie längst den Besitzer gewechselt hat, und deren Eingang sich im Erdgeschoß zwischen den beiden Straßen öffnet. Ein stattliches Haus dieses, und von beträchtlichem Umfange mit seinen beiden Fronten, seinem quadernartigen Bewurf, seinen Kränzen von Stuck und steinernen Reliefs, seinen Balkonen und seinem Vorbau, drei Stock hoch, die Fenster im oberen etwas niedriger als die anderen und bogenförmig – ein Haus voll von Erinnerungen selbst für uns, die Generation, die nach Hoffmann kam. Sind diese Räume, welche das Gebäude nach der Charlottenstraße hin abschließen, nicht mit dem Andenken an »Schubert« verbunden, einen jovialen Wirt ausden fünfziger
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