Bilder Aus Dem Berliner Leben
derselben, ein Achtzigjähriger heut, ein Überlebender jenes Berlins, das uns heute so fern liegt – einer der wenigen, vielleicht der letzte, der teilgenommen an den Symposien bei Lutter und Wegner und jetzt, noch rüstig in seinem hohen Alter, den ruhmvollen Abend seines Lejens in demselben, durch so viele Erinnerungen geweihten Gebäude zubringt: Dieser hat mir das »öde Haus«, wie es zu Hoffmanns Zeiten war, und das dürre verwitterte Männlein im kaffeebraunen Rock, den Verwalter mit Haarbeutel und Puder, und den Hund, der Makronen fraß und wie ein Mensch weinte, mit solcher Lebendigkeit geschildert, daß es mir eiskalt über den Rücken lief. Das »öde Haus« ist längst verschwunden; ein anderes steht nun an seiner Stelle, das unterdessen auch schon wieder alt und grau geworden, und eines der merkwürdigsten ist, welches ich jemals gesehen. Es ist das Haus Nr. 9 Unter den Linden, das mit dem Durchgang nach der Kleinen Mauerstraße. Das Haus in dieser Gestalt hat Hoffmann nicht mehr gekannt,denn der Durchbruch fand erst Ende der zwanziger Jahre statt; aber noch immer haftet etwas an diesem seltsamen Gebäude, was mir dasselbe vor allen Häusern Unter den Linden interessant macht. Immer noch wendet es seine »farblosen Mauern« dieser elegantesten von Berlins Straßen zu, von »zwei hohen, schönen Gebäuden eingeklemmt«, die zu beiden Seiten es überragen – mit einem winzig kleinen Balkon, der in keinem rechten Verhältnis zu seiner Breite steht, mit Fenstern, die zwar nicht mehr »zum Teil mit Papier verklebt« sind, aber etwas Verschlafenes haben, wie von einem Traum, aus dem man schwer erwacht, und »mit einem Torweg, der an der Seite angebracht, zugleich zur Haustüre dient«. Jetzt rollen immerfort die Wagen, welche von der Behrenstraße nach den Linden kommen oder von den Linden nach der Behrenstraße gehen, durch diesen Torweg und erfüllen das Haus mit einem beständigen Gepolter. In dem Hof, jetzt die Kleine Mauerstraße, wohnen allerlei Leute, von denen allein die Haarkräusler und Barbiere die seßhaften, zu sein scheinen, während in den übrigen Läden, wo gestern Filzpantoffeln und Herrenhüte waren, heute Öldruckbilder und Makartsträuße sind. Über dem spitzen, steilen Dach scheint am hohen Mittag die Sonne hier herein; kommt man aber in einer späteren Stunde, wenn die beginnende Dämmerung um die halbrunden Vorbauten und bedeckten Galerien webt und jeder Schritt von den Bohlen dumpf widerhallt, steigt man die Stufen empor, die bis an die Seitentür nach dem Durchgang reichen, und begibt sich in das Innere, das dunkel und winklig ist, mit schmalen gewundenen Treppen und weißen Glastüren: dann ist man für einen Augenblick wieder mitten in der Hoffmannschen Romantik, sucht nach dem Flur, der mit alten, bunten Tapeten behängt ist, und würde sich nicht wundern, wenn nun ein Saal in altertümlicher Pracht, mit vergoldetenMöbeln und japanischen Gefäßen sich öffnete, hell von vielen Kerzen und durchduftet von starkem Räucherwerk, aus dessen blauen Nebelwolken eine wundersam schöne Frauengestalt in reichen Kleidern hervorleuchtet. Aber die Phantasmagorie schwindet, wie sie gekommen: Wir treten in ein paar ganz gewöhnliche Restaurationszimmer, und im Abendlicht, welches von den Linden her durch die Fenster dringt, sehen wir an den Tischen flotte Jünglinge beim Skat oder Sechsundsechzig und etliche junge Damen, welche, wenn sie diesen Gästen Bier kredenzt haben, sich zu ihnen setzen und ihnen zutraulich in die Karten schauen.
Die zwei hohen, schönen Gebäude, von welchen Hoffmann spricht, haben sich auch sehr verändert in der langen Zeit; das eine jedoch, Nr. 8, »dessen prachtvoll eingerichteter Laden« dicht an das »öde Haus«. anstieß und in der Geschichte desselben eine so wichtige Rolle spielte, haben wir alle noch wohl gekannt: Es war die berühmte Fuchssche Konditorei, deren »leuchtender Spiegelladen«, wie Hoffmann ihn schildert, den Berlinern der älteren Generation noch erinnerlich sein wird. Er war, in jener bescheideneren Zeit, eine Sehenswürdigkeit dieser Stadt. »Wunderschön ist dort alles dekoriert, überall Spiegel, Blumen, Marzipanfiguren, Vergoldungen, kurz die ausgezeichnetste Eleganz«, sagt Heine; »doch«, fügt er hinzu, »ich esse keine Spiegel und seidenen Gardinen.« Er war es, in diesem Punkte, von Hamburg und selbst von Göttingen her besser gewöhnt. »Man muß schon«, heißt es in einer Beschreibung dieses Lokals zwanzig Jahre später,
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