Bilder Aus Dem Berliner Leben
und sechziger Jahren, auch durch seine »Kompositionen« berühmt, aber Kompositionen von Schlummerpunsch und Likören; und wird nicht, indem wir diesen Namen aussprechen, eine ganze Tafelrunde fröhlicher Gäste wieder lebendig, welche hier Abend für Abend beisammensaßen und von denen nun, gleich dem Wirte selber, kein einziger mehr unter uns weilt – Eduard Hildebrandt und Gustav Richter, Ernst Dohm, der hier mit seinem schwarzen Fischbeinstöckchen zwischen den Knien manchmal noch vor dem Schlummerpunsch schlummerte, George Hiltl und sein Schwager Berndal – Maler, Schauspieler, Schriftsteller, alle dahin –, aber ihre Schatten scheinen noch um die liebgewordene Stätte zu huschen. »Nach hundert Jahren mag man es als eine Merkwürdigkeit zeigen«, sagt schon Ludwig Rellstab im Texte zu der krausen Federzeichnung, in welcher E. T. A. Hoffmann dieses Haus für alle Zeiten unzweifelhaft festgestellt hat. »Taubenstraße Nr. 31« steht am Rande des wunderlichen Blattes geschrieben, welches, wenn wir noch keinen Begriff davon hätten, wie die Wirklichkeiten des Tages sich auf dem »Zauberspiegel« dieses Kopfes malten, uns einen solchen geben würde. »Draußen vor dem Fenster war das Gewühl des Markts und der Straßen, des Theaters und der Weinhäuser; aus diesem fing er alles auf und zeigte es in scharfen, eckigen Linien. Ihr könnt euch nur die Wohnung an der Tauben- und Charlottenstraßen-Ecke, wo jetzt unten der Konditor wohnt, ansehen – droben an dem Eckfenster hing der Spiegel.« Und eine Fülle von Gesichtern und Gesichten quirlt auf und durcheinander, klimperkleine Figuren, und eine jede doch mit den getreuen Zügen des Originals, auch in der Karikatur noch erkennbar, zahllose Gruppen, deutlich gesondert und alle miteinander im Zusammenhang, die Straßen genau bezeichnet, die »das alte, romantische Land« von Berlin umgrenzen– Tauben-, Charlotten-, Jäger-, Markgrafenstraße, Gendarmenmarkt – die Gebäude mit wenigen Strichen hingeworfen, das Schauspielhaus, die beiden Kirchen, die Restaurationen, die Weinstuben – diese vor allem dem Herzen Hoffmanns teuer – und da, wo Kenntnis oder Interesse nicht mehr hinreicht, die »Wohnungen unbekannter Leute«. Doch auch dieser Nebel hat seine Sterne – die Italiener! Sie sind freilich nur »Materialisten«; aber wie ganz anders in jener Zeit, die selbst des Leibes gemeine Nahrung mit einem poetischen Schimmer verklärt! Ah, man muß einmal den Duft solcher Läden, von Südfrüchten, Öl, Käse, Wurst und allerlei Gesalzenem durcheinander gemischt, in den Städten Italiens, in den engen Gassen Veronas oder Genuas geatmet haben, um zu wissen, was gut ist. Und das war es, was diese Italiener nach Berlin brachten. Noch heut, wo wir das unterdes fast obsolet gewordene Wort auf alten Ladenschildern erblicken, weckt es angenehme Erinnerungen an erlesene Leckerbissen und versteckte Hinterstübchen, an Sala Tarone, den »Hofitaliener« Friedrichs des Großen und an »das Land, wo die Zitronen blühn«. Wieviel ärmer, trivialer ist unser Leben geworden, trotz der Rundreisebilletts nach Rom und Neapel! »Italienische Warenhandlung Moretti – Extrafeiner Rum« an der Ecke der Französischen Straße und »Austern, Kaviar, Italienischer Salat bei Thiermann« (denn auch solche Italiener gab es) an der Ecke der Jägerstraße – das war besser; denn es war für die Kenner. Und wer hat auch Venedig – »o herrliches Venedig!« – treuer geschildert, italienisches Leben, italienische Dichtung und italienische Musik inniger empfunden als er, der Dichter von »Doge und Dogaresse«, der niemals in Italien war, außer bei Moretti und Thiermann? Das Haus und der Laden des letzteren, wenn auch unter anderem Namen, hat sich an der identischen Stelle noch erhalten,mit einem altmodischen Treppchen davor und einem kleinen Schild, auf welchem man wie eine wehmütige Reminiszenz: »Colonial- und Italiener Waren« liest.
??? Gendarmenmarkt, gezeichnet von E.T.A. Hoffmann
So korrekt und richtig in seinem Capriccio hat Hoffmann alles angegeben; keine topographische Aufnahme, kein Plan von Berlin hätte mehr tun können. Und dennoch welch ein toller Spuk überall! Auf den Türmen der französischen und der deutschen Kirche hocken die Gnomengestalten zweier Glöckner, Kobolde mit großer Perücke und langen Nasen, das edle Roß auf dem Schauspielhaus hat sich in ein Ungetüm verwandelt, das auf den Hinterbeinen steht, fabelhafte Tiere, ein Hund, ein Strauß, ein Löwe, spazieren
Weitere Kostenlose Bücher