Bilder Aus Dem Berliner Leben
Weise gesorgt haben. Die Grundeigenschaft des Berliner Herzens ist Güte: nicht jene schwächliche, die sich irgend etwas gefallen oder nehmen ließe, nein – da fällt mir mein kleiner Berliner aus dem Omnibus wieder ein –, sondern jene tatkräftige, die zu handeln bereit ist: ein offnes Herz und eine offne Hand. Kein Verschwender, ein vorsichtiger Rechner ist der Berliner, ein Quengler und Mäkler um jeden Pfennig, sei es in der Stadtverordnetenversammlung, sei es mit seinem Droschkenkutscher. Ein sparsamer Mann; aber manch ein enormes Vermögen oder Teil eines Vermögens, das er auf solche Weise rechtschaffen erworben, geht als milde Stiftung in das Eigentum der Stadt über, wenn er seine Tage beschließt. In einer solchen Stadt ist gut leben; denn man ist sich am Ende doch bewußt, selbst in dieser ganz modernen Zeit und mit all ihren Auswüchsen, unter braven Menschen zu sein – und der Mensch ist die Hauptsache, nicht die Zeit. Das ist es, was mich auf diesen meinen Wanderungen durch die Stadt so sehr anmutet: überall Menschen zu finden, mit denen sich ein trauliches Wort tauschen und im Vorübergehen redenläßt, ohne daß man voneinander zu wissen braucht – mit den gesellschaftlich vielleicht unter uns Stehenden auf eine Weile zu verkehren, am Alltag sie bei ihrer Arbeit zu sehen und am Sonntag bei ihren harmlosen Vergnügungen, mich an einen Tisch mit ihnen zu setzen und selbst aus den Werken und Hinterlassenschaften der Verstorbenen eine Stimme zu hören, die mich nicht unbewegt lassen kann.
Ein andrer Zug, der meine Spaziergänge mir angenehm macht, ist, aus eigener Anschauung wahrzunehmen, wie trefflich in dieser Stadt für die heranwachsende Jugend gesorgt ist, beides, für ihren Unterricht und ihre Gesundheit. Es bedürfte ja freilich dieser Bestätigung nicht, wo die Resultate so klar vor Augen liegen und unser Schulwesen uns fast noch berühmter in der Welt gemacht hat als unser Heerwesen. Aber doch ist es etwas, das, was uns Außenstehenden meist nur ein Begriff ist, einmal leibhaftig vor Augen zu haben; und wo man hier und anderwärts in den Geschäfts- und Fabrikgegenden unsrer Stadt, zuweilen in einer recht dürftigen Umgebung, ein auffallend schönes Gebäude sieht, zumeist aus heimischem Material, Backstein und Sandstein, mit palastartiger Front, mit hohen und breiten Fenstern, mit vielem Grün entweder ringsum oder durch die Portale leuchtend von dem Hofe her, da kann man sicher sein, daß es eine Gemeindeschule ist, wie der prachtvolle Backsteinbau in der Elisabethstraße oder das imposante Häuserkarree in der Strausberger Straße, in welcher sich obendrein noch eine städtische Volksbibliothek befindet. Ja, ja – die gute, alte Zeit hatte manches, was uns dermalen abhanden gekommen; solche Schulhäuser aber hatte sie nicht. Und dann an jedem schönen Sommermorgen diese Scharen glückseliger Kinder zu sehen, bald der einen, bald der andern Schule, heute Mädchen in ihren bunten Kleidchen, morgen Knabenin ihren Turnjacken und mit Botanisierbüchsen über der Schulter, wie sie fröhlich aus den entfernteren Gegenden der Stadt durch den Tiergarten nach dem Grunewald und den Havelseen ziehen – wie sie truppweise marschieren, zwei und zwei, und ihre vierstimmigen Lieder singen, mit einem bescheidenen Mann an ihrer Spitze, der den Takt schlägt und in der Dankbarkeit und Freude seines Herzens über den herrlichen, freien Tag eine Zigarre dazu raucht ... Achtung, meine Herren! Es ist der preußische Schulmeister, der hier still und fast unbemerkt an Ihnen vorübergegangen!
Solch ein Anblick macht mich froh für den ganzen Tag, und der Gedanke daran begleitet mich bis hierher, wo wohl mancher von den kleinen Sängern seine Heimat haben mag. Sonntagsruhe herrscht in den schattigen schmalen Straßen, die sich vom Georgenkirchhof aus abzweigen. Sie scheinen von ihren Bewohnern verlassen. Nur hier und dort aus dem Keller herauf ist ein Mütterchen gestiegen, das mir mißtrauisch nachsieht, indem ich vorübergehe. Wie gerne würd ich ihr einen guten Abend wünschen! Aber das geht nicht hier in der großen Stadt. Sie würde vielleicht meinen, daß sie es mit einem zu tun hätte, der es auf ihre Habseligkeiten abgesehen. Aus einem Fenster schaut ein sonntäglich geputztes Mädchen, aus einem andern ein hemdärmeliger Mann. Vor dem Fleischerladen sitzt die behäbige Frau Metzgerin mit einer weißen Schürze, neben ihr der wohlgenährte Herr Gemahl und ein Nachbar. Hier tönt aus einem Hause
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