Bilder Aus Dem Berliner Leben
Sie erhalten einen Brief, signalisiert, photographiert und adressiert.« – Hierauf wendet er sich zu der Elektrisiermaschine. »Wer von den Herrschaften will sich einmal elektrisieren lassen. Das stärkt die Nerven, ist gut für den Rheumatismus, für Leib-, Kopf- und Zahnweh und kostet nicht mehr als zehn Pfennige die Person.« Ein junger Mann tritt vor, legt seinen Obolus auf den Teller und wird elektrisiert. Aber obwohl der Künstler mit dem roten Fez die Kurbel dreht, bis ihm die Stirne feucht wird, behauptet der junge Mann, er fühle noch immer nichts. Ich habe das Ende dieses interessanten Experimentes nicht abgewartet; denn unaufhörlich wogen die Menschen hin und her und tragen mich unaufhaltsam in ihrem Strome mit fort.
Kaum einer von ihnen, der nicht einen Blumentopf in der Hand hält. Die Liebe dieser Leute zu den Blumen ist so groß, daß Blumenstöcke in jedem Weißbiergarten ausgewürfelt werden oder um ein billiges zu kaufen sind. Es sind natürlich nur die geringern Sorten, die man hier sieht, meist Fuchsien, Nelken und Goldlack; aberalles ist voll davon und überraschend die Menge von Blumenläden und Blumenkellern, die fast Haus bei Haus in dieser Gegend das Trottoir stellenweis in ein Blumenparterre verwandeln. Und noch eins wird demjenigen auffallen, der zuerst an einem Sonntage hierherkommt; wer unter den ihm Begegnenden keinen Blumentopf trägt, der wird sicher, alt oder jung, Mann oder Weib, Mädchen oder Knabe, eine Gießkanne in der Hand haben. Es ist ein schöner Gräberkult, der hier vor dem Tor an den Sommersonntagen gefeiert wird. Hier draußen sind die großen Kirchhöfe der Georgen-, der Parochial- und der Petrigemeinde, und sie alle, namentlich aber der erstere, sind bis Sonnenuntergang mit Hunderten von Menschen gefüllt, welche den Rasen und die Blumen der Gräber begießen und zum stillen Besuch derer kommen, die darin schlafen. Von einer ernsten Schönheit ist der Petrikirchhof; eine dunkle Lindenallee beschattet ihn, und unter dem Grün verschwinden fast die Denkmäler. Der Parochialkirchhof dagegen schimmert wie ein Garten, wie ein Rosengarten in dieser mittsommerlichen Zeit, und hohe Bäume, majestätische Pappeln, rauschen darüber im Abendwind. Der Kirchhof der Georgengemeinde ist der größte, und da er vorzugsweise der dieser Gegend ist, auch der besuchteste. Gleich vorn, dicht neben dem Eingang, an besonders geehrter Stelle, von einem Gitter umfaßt, erhebt sich das Grab, in welchem Büsching mit den Seinen ruht, und die Grabsteine, welche man von der Gollnowstraße hierher gebracht, sind an der Mauer befestigt worden. Sie sind mit einem Porträt Büschings und Figuren in halberhabener Arbeit bedeckt, die man nicht gerade für Kunstwerke halten kann. Die von Büschings Amtsnachfolger Gedike verfaßte Grabschrift: »Hier im Schoß der Erde schlummert ihr Beschreiber« habe ich nicht mehr finden können. Es soll noch eine alte Anverwandte derFamilie leben und zuweilen hierherkommen, um nach den Gräbern zu sehen. Sonst schlummern keine Berühmtheiten hier, da diese vielmehr von je, wie man weiß, im Westen Berlins gelebt haben, gestorben und begraben sind. Aber mancher tüchtige Mann, manche brave Frau ruht hier nichtsdestoweniger; Männer und Frauen, deren Ruhm darin besteht, ein gutes und nützliches Leben geführt zu haben, und die darum in den Herzen der Ihrigen, wenn nicht in den Blättern der Geschichte, fortleben. Viele von den besten Namen des alten und eigentlichen Berlins, seines Handels- und Gewerbestandes, liest man auf diesen Grabsteinen; und man sieht es diesen Gräbern wohl an, daß die Liebe, die sie geschmückt hat und täglich neu pflegt, durch keinen Zwang der äußeren Verhältnisse beschränkt wird. Auch Denkmale, die durch ihre geschmacklose Überladenheit auffallen, sind nicht hier. Aber der kostbarste Blumenflor prangt, so weit man blicken kann. Pinien und Zypressen wachsen neben den Gräbern, und Palmen und Orangenbäume stehen in mächtigen Kübeln daneben. Jede Grabstätte gleicht einem kleinen grünenden, blühenden Garten, welcher durch ein zierliches Kettchen abgeschlossen wird; manche Frau sitzt hier gern in Gedanken, wo jetzt die Bank steht und einst, zur Seite des voraufgegangenen Gatten, auch sie ruhen wird. Kaum ein Grab, an welchem nicht liebende Hände geschäftig; mit dem Schwarz der tiefen Trauer mischen sich in den Baumgängen die lichteren Sommerkleider, die Gießkannen wandern hinauf und herunter, während die Sonne sich strahlend
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