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Bilder Aus Dem Berliner Leben

Titel: Bilder Aus Dem Berliner Leben Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Julius Rodenberg
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Musik verstummte erst und die Estrade ward abgebrochen infolge der Ereignisse des Jahres 1848, als jene sich in eine Rednerbühne verwandelt hatte. Wer hätte nicht von den berühmten Volksversammlungen in den Zelten gehört oder gelesen, den ersten, welche jemals in Berlin abgehalten worden sind? Ein Augenzeuge – Robert Springer, in »Berlins Straßen etc. im Jahre 1848« – schildert sie folgendermaßen: »Die verdeckten Orchestersitze in der Mitte wurden zur Tribüne benutzt, der freie runde Platz war mit Tausenden von Zuhörern angefüllt und von Marketenderbuden umgrenzt, in den Zelträumen saßen diejenigen, welche die Volksredner lieber von fern und Bier und Kaffee in der Nähe prüften, vom Brandenburger Tor her rollten zahlreiche Droschken, auf der nahen Spree rollten die lustigen Gondeln nach Moabit, dessen Auen man jenseits erblickte, die Fenster des Schlosses Bellevue blinkten im Sonnenschein durch die schattigen Alleen des Tiergartens, von ferne gewahrte man die grüne Schloßkuppel und die Kirchturmspitze von Charlottenburg.«
    Das waren die Frühlingstage der Freiheit. Aber es wurde bald wieder dunkel und blieb dunkel eine lange Zeit, und weit von hier, an dem entgegengesetzten Ende der immer ungeheurer sich ausdehnenden Stadt, auf dem Hügel im Friedrichshain, unter den Trauerweiden, haben wir die Gräber gesehen, welche den Karneval der Zelte beschlossen.
    Hier aber auch, an den Wassern der Spree, blühte bis zuletzt die blaue Blume der Romantik; hier, in einer unterdes anders gewordenen Welt, hauchte sie sterbend ihren letzten Duft aus. Hier, in einem Hause »hinter den Zelten«, das nunmehr längst verschwunden ist, habenAchim von Arnim und Bettina gelebt. Hier, den Traum ihrer Jugend noch einmal träumend, dichtete die seltsame, geniale Frau »Goethes Briefwechsel mit einem Kinde«; hier in dem großen Saale stand das von ihr erdachte, mit Hilfe Wichmanns und Steinhäusers im Modell ausgeführte Denkmal Goethes mit dem Genius an seinen Knien, der in die Saiten seiner Leier greift, und hier (1859), neben dem Monumente, stand auch ihr Sarg, ehe er nach Wiepersdorf, der Besitzung der Arnims, geführt wurde. »Die Ihrigen waren alle vorausgegangen, um ihn dort in Empfang zu nehmen«, erzählt Hermann Grimm in der rührend schönen Lebensskizze, welche der neuen Ausgabe des »Briefwechsels mit einem Kinde« vorangeht. »Ich war ganz allein im großen Saale. Es lag da ein Haufen Lorbeerkränze und lange Laubgewinde, die ich um den Sarg nagelte.«
    Und nun ist es wirklich Nacht geworden, eine weiche, warme, duftige Sommernacht. Sterne stehen am Himmel, Lichter irren am Ufer, Feuer ist auf dem Wasser: ein Floß treibt noch langsam vorüber, mit einer kleinen Hütte für den Flößer, und dieser kocht sich über einem Scheit brennenden Holzes sein Nachtessen. Schwäne, die ihr Nest suchen, schwimmen voran und umher; über Moabit steht schon das Blau der Sommernacht, und auf der Stadtbahn, in schöner Kurve, gleitet ein erleuchteter Zug dahin. Im Hintergrunde liegt die Stadt, wie mit Lichterkränzen behängt, und durch die Bucht, welche die Spree hier bildet, fährt ein müder Dampfer nach dem Ankerplatz unter dem Lehrter Bahnhof. Schwarz und schweigend zur Rechten des Wanderers steht der Tiergarten.
    Aber in den Zelten leuchtet und summt es von Hunderten froher Zecher, unbekümmert darum, wer vor ihnen hier gewesen. Wie man diese Wirtschaften mit ihren großen Gärten noch immer »Zelte« nennt, sobezeichnet man sie auch noch immer nach ihrer Nummer und sagt: Zelt Nr. I, Nr. II, Nr. III., Nr. IV. Aber sie waren nicht immer so gefüllt, wie wir sie heute sehen. Ihre Schicksale wechselten, die Mode wandte sich von ihnen ab, und das Jahr 1848 bezeichnet ihren vollständigen Niedergang. Lange waren und blieben sie verödet; sie sahen verfallen aus und wurden, wenn überhaupt, nur noch von den unteren Volksklassen besucht. Ihr Wiederaufschwung beginnt mit Anfang der siebziger Jahre, wo diese ganze Gegend sich umgestaltet hat und die früher auf der entgegengesetzten Seite des Tiergartens gelegenen Etablissements eines nach dem andern geschlossen worden und verschwunden sind, um neuen Straßen Platz zu machen. Seitdem sind die Zelte wieder in ihr altes Recht eingetreten. Das privilegierte derselben war und ist heute noch das Zelt Nr. II; es ist das historische Zelt. Es erhebt sich an der Stelle, wo zuerst Mouriers goldne Gans geprangt, alsdann die Grünebergschen Hütten gestanden haben und zuletzt E. T. A.

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