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Bilder Aus Dem Berliner Leben

Titel: Bilder Aus Dem Berliner Leben Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Julius Rodenberg
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Straßen und, was noch ärger ist, Straßen ohne Trottoirs, Holzplätze, Kohlenplätze, dann wieder ein einzelnes Haus, ein Baugerüst, ein Bretterzaun und ein Stück Eisenbahn, ganz voll ausrangierter Wagen. Nähert man sich von einer dieser Seiten, etwa unter den alten Pappeln und Häusern der Möckernstraße, dann sieht der Kreuzberg aus wie eine Düne am Meeresstrand, unten ganz weiß, oben spärlich begrünt – man meint, man müßte die Segelstangen vorüberziehender Schiffe erblicken unter dem milden, grauen Abendhimmel. Knaben spielen im Sande, auch ein Reiter auf schwerfällig sich fortbewegendem Rosse ist da und dunkle Vertiefungen und Schluchten. Stark und lau weht der Abendwind und macht die Täuschungnoch vollständiger. Rechts ist die Fortsetzung der Kreuzbergstraße und der Sandweg mit den Weidenbäumen, der nach Schöneberg führt. Wie manchmal bin ich ihn gegangen vor vielen Jahren! Aber hier hat sich noch nichts geändert, hier ist alles noch, wie es war. Nur drei Freunde, drei gute Gesellen im Leben, die mit mir gingen, ruhen jetzt dort oben, nicht weit voneinander, auf dem Schöneberger Kirchhof, dessen Mauer sich über dem ansteigenden Felde zeigt. Hier sind auch noch die beiden altmodischen Tanzlokale, in welche beim Vorübergehen hineinzuschauen uns damals so viel Vergnügen machte: »Zum Türmchen« und »Zum alten Türmchen« – letzteres über dem Dach mit einem veritablen, grün angestrichenen Türmchen, das wie ein Taubenschlag aussieht und vielleicht auch einer sein mag. Wieder ist es Sonntagnachmittag. Wieder ist hier die Drehorgel und das Marionettentheater; es wird gekegelt und getrunken. Plötzlich höre ich jemanden rufen: »Naucke!« Ich achte nicht darauf. Da fragt ein zweiter einen dritten: »Haste Naucken nich jesehn?«, und ein vierter sagt: »Wo is Naucke?« Mein Gott, denke ich, wer mag der Mann sein, nach dem alle sich so teilnehmend erkundigen? Wer ist Naucke? Da steht vor dem Eingang »Zum alten Türmchen« ein kleiner Stillvergnügter, der sich fortwährend um sich selber dreht und dazu mit gerührter Stimme singt:
    Naucke is nich mehr zu sehn,
Naucke is mich jar zu kleen.
    Nun denn, so will ich mich darein ergeben; ich fürchte, mich zu blamieren, wenn ich weiter nach diesem interessanten Unbekannten forsche. Doch ein paar Tage später, beim Stralauer Fischzug und auf dem Erntefest im Schwarzen Adler zu Schöneberg – überall hör ich denselben Namen, überall ist Naucke, oder ist er vielmehrnicht; und ich überzeuge mich nun, daß es sich hier um eine jener Neckereien handelt, die oft so plötzlich, man weiß nicht woher, im Berliner Leben auftauchen. Vielleicht daß bei einer Landpartie eine liebende Gattin ihren Mann verloren hat, der sich des Namens Naucke erfreut. »Naucke!« ruft sie – »wo ist Naucke?« Ihr Schicksal erregt Teilnahme, man hilft ihr suchen, alle Bezirksgenossen schließen sich an – was anfänglich bitterer Ernst gewesen, wird allmählich fröhlicher Scherz, der Ruf wird populär, und lange noch, nachdem, so wollen wir hoffen, Frau Naucke ihren Mann wiedergefunden hat, klingt es durch ganz Berlin bis zum alten Türmchen in der Schöneberger Feldmark: »Wo ist Naucke?«
    Von hier aus hat der Rücken des Kreuzbergs ganz den Heidecharakter, das heißt etwas Gras und viel Sand. Das Denkmal, welches früher auch im Sande stand, steht jetzt auf festem Unterbau, mit hohen, zinnengekrönten Mauern. Der Blick auf das unter einem violetten Abendhimmel flach daliegende Berlin imponiert nicht besonders: Man sieht Türme, Kuppeln, viele Häuser; man unterscheidet ganz in der Ferne die gegenüberliegenden Höhenzüge und weit weg links die Spandauer Heide und die Spandauer Forst; aber es gibt kein Bild, man hat nicht den Eindruck einer ungeheuren Stadt, in der Millionen Menschen wohnen. Nach der Seite von Tivoli hin sind viel dichte Laubmassen um den Hügel, und sie erwecken den Wunsch, dieses ganze, jetzt noch ziemlich öde Terrain in den Südpark umgeschaffen zu sehen, den man uns so lange schon verheißen und dem es in der Tat so mannigfache Vorzüge der Bodenformation entgegenbringt. Wer weiß, ein Wanderer, der nach mir kommt, wird ihn finden und beschreiben.
    Die Berge von Berlin! Wer wird ernsthaft an sie glauben? Aber sie sind nun einmal da, und sie heißen so, wenn auch ein künftiges Geschlecht sie vielleicht nurnoch an der etwas stärkeren Hebung oder Senkung der Straße erkennen mag wie beim Pfefferberg in der Schönhauser Allee. Hier indessen

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