Bilder Aus Dem Berliner Leben
schönrer Morgen tagt.
Schleswig-Holstein, stammverwandt,
Wanke nicht, mein Vaterland!
Und wie der Zug nun vorüber, stürzen Tausende in die freigewordenen Alleen – mit Schemeln, auf denen sie stundenlang geduldig gesessen, mit Fußsäcken, welche sie gegen die Kälte geschützt, mit allen Arten von Fuhrwerken kommen sie hinterher – Karren der Marktleute, die heut als Equipagen benutzt werden, Schnaps- und Fouragekarren, von zwei Männern gezogen, ein Ehepaar mit einem Waschkorb zwischen sich, in welchem ein Kind liegt – die Gamins steigen von den Bäumen herab, und der Jubel beginnt; denn der Berliner, wenn er gleich ein Frondeur ist und fortschrittlich wählt, hält doch treu zu seinem Königshaus, dessen Festtage auch die seinen sind. Fern aber, unter der stolzen Säulenhalle des Brandenburger Tores verklingt das alte Lied von 1848:
Gott ist stark auch in den Schwachen,
Wenn sie gläubig ihm vertraun;
Zage nimmer, und dein Nachen
Wird trotz Sturm den Hafen schaun.
Schleswig-Holstein, stammverwandt,
Harre aus, mein Vaterland ...
Gott segne deinen Eintritt in die preußische Königsstadt, du Tochter Schleswig-Holsteins – einst, im Laufe der Jahre, Deutschlands Kaiserin!
So flüstert und rauscht es unablässig in den Zweigen, während ich noch immer vor dem Pavillon im Schloßgartenvon Bellevue stehe. Kaum ein Mensch ist in der Nähe – nur hier und da noch, in den langen Baumgängen, ein Einsamer, gleich mir. Aus dem Dämmerlicht, mir gegenüber, hebt sich eine zackige Giebelfront mit Spitzbogenfenstern, bis zur halben Höhe mit den herrlichsten Fuchsien in Scharlach und Lila bedeckt; auf einer Steinplatte stehen die Worte: »Inventé et dessiné par Gilly fils«. Es ist Friedrich, Sohn des alten Oberbaurats David Gilly, der Geniale, Frühgestorbene (1800, im Alter von 29 Jahren). In der Kunstgeschichte wird er immer genannt werden als Lehrer Schinkels und Bahnbrecher der klassischen Richtung, welche sich nachmals unter seinem Schüler so glänzend entfaltete; jedoch ich wüßte nicht, daß von ihm selbst in Berlin noch etwas zu sehen wäre, außer dem wunderschönen, von der alten Münze nach der neuen übertragenen Sandsteinfries, welcher obendrein noch ziemlich allgemein, in den Handbüchern (auch von Baedeker) Schadow zugeschrieben wird. Dieser hat den Fries allerdings ausgeführt; aber »erfunden und gezeichnet« hat ihn Gilly, ganz wie diesen Bau des Bellevuegartens; und seltsam berührt es, seinem Namen hier auf Knobelsdorffschem Gebiet zu begegnen – dem Namen des halb Vergeßnen auf dem Gebiet des lang Verkannten. – Der strohgedeckte Bau, gegenwärtig von dem Obergärtner und seiner Familie bewohnt, war ehedem eine Meierei – die Meierei der Prinzessin Louise, Schwester des Prinzen August; »Métairie de Louise« liest man noch in altmodischer Schrift auf einer Tafel über der offenen, von wildem Wein umrankten Halle, in welcher die Prinzessin zu lustwandeln liebte. Grundriß und Pläne bewahrt die Gartendirektion, und alles wird sorgfältig im alten Stand erhalten. Über dieser Idylle mitten in einem fürstlichen Park, der weiten Wiese, dem steingepflasterten Hof mit Brunnen und Holzstaket, dem Gebäude selber, einstöckig, ländlich,mit Strohdach und – einer gotischen Fassade, weht noch immer der echte Hauch des 18. Jahrhunderts und der etwas gekünstelten Naturschwärmerei Jean Jacques Rousseaus. Ringsum ausgebreitet liegt die blaugrüne Tiergartentiefe. Vom großen Stern – einer Anlage Knobelsdorffs – zweigen zwei besonders mächtige Alleen ab, die eine zur Erinnerung an den verschwundenen Hofjäger, die Hofjägerallee; die andere die Fasanerie-Allee, zur Erinnerung an die verschwundene sogenannte »Fasanerie bei Charlottenburg«, welche auf Befehl Friedrich Wilhelms IV. 1842 nach Charlottenhof bei Potsdam verlegt ward, während auf dem freigewordenen Terrain seit dem angegebenen Jahre sich der Zoologische Garten zu entwickeln begann.
Wie es hier aussah, als unser Jahrhundert noch in den Zwanzigen war, schildert gar anmutig Karl Gutzkow in seinem liebenswürdigen Buche »Aus der Knabenzeit«. Der Tiergarten war damals noch wildverworren, sumpfiggrün. »Hinter dem früheren Venusbassin, späteren prosaischeren Karpfen-, dann Goldfischteich, linker Hand vom Wege wucherte es von Schafgarben, Winden, Farrenkräutern, Schierling und Wolfsmilch. Es war die volle Vegetation des Sumpfes. Eidechsen huschten unter den hohen Gräsern dahin. Rechts hatte man den Blick nach dem Schloß
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