Bilder Aus Dem Berliner Leben
diesem Grabe, die Gräber der großen Schauspieler und Schauspielerinnen aus derselben Periode sieht – das von Iffland und der Bethmann, von Fleck, von der Crelinger und dem alten, ewig jungen Gern –, wäre man dann nicht versucht, von der dramatischen Kunst dasselbe zu sagen wie von demallgemein geistigen Leben und von der Literatur dasselbe wie von der dramatischen Kunst?
Ja, ich bin nun einmal ein Alter, wenn vielleicht noch nicht ganz von Jahren, doch in meinen Erinnerungen; und weit, weit aus der Vergangenheit klingt mir ein Vers, den ich auf der Schule gelernt habe:
Ich träum als Kind mich zurücke,
Und schüttle mein graues Haupt;
Wie sucht ihr mich heim, ihr Bilder;
Die lang ich vergessen geglaubt –
Die Dämmerung sinkt herab und ich wandre noch immer unter Gräbern – und hier, auf dem Neuen Jerusalemer Kirchhof ist eins – eine Linde steht darüber, und auf dem Grabsteine, beim schwindenden Lichte des Tages, les ich:
Adelbert von Chamisso
geb. 30. Januar 1781; gest. 21. August 1838.
Antonie von Chamisso,
geb. Piaste,
geb. 30. Oktober 1800; gest. 21. Mai 1837.
Ein Grab, ein Stein für beide, reich mit Efeu umwunden und ein Kranz darauf von Lorbeerblättern mit Astern und weißen Rosen. Er hatte sich mit der Achtzehnjährigen vermählt, die er im Hause Hitzigs aufwachsen sah und mit der er, da sie noch ein Kind war, gespielt. Sie starb früh, und er hat sie nur um ein Jahr überlebt; er, der ein Wandrer, ein Fremder, ein Franzose, zu uns kam und nach allem, was er an Liebe, Freundschaft und Ruhm hier gefunden, um nichts bat, als ein Grab in deutscher Erde:
O deutsche Heimat! –
Wann müd am Abend seine Augen sinken
Auf deinem Grunde laß den Stein ihn finden,
Darunter er zum Schlaf sein Haupt verberge.
Und noch ein Vers aus ferner Knabenzeit wird in mir wach, und leise sprechen ihn die Lippen nach:
Du siehst geschäftig bei dem Linnen
Die Alte dort im weißen Haar,
Die rüstigste der Wäscherinnen
Im sechsundsiebenzigsten Jahr ...
Vor nicht langer Zeit, an einem Sommernachmittag im Jahre 1880, fand in dem Hause Friedrichstraße Nummer 235 eine schöne Feier statt. In diesem Hause hat Chamisso gelebt. Vorher hatte er in Schöneberg, dicht beim Botanischen Garten, dessen Kustos er war, eine kleine Wohnung. Als diese 1822 durch Feuer zerstört ward, zog er in die Stadt, in dieses Haus der Friedrichstraße, welches er bis zu seinem Tode, 1838, nicht mehr verließ. Dessen zu pietätvollem Gedenken schmückte nun der gegenwärtige Besitzer, ein Erzgießer, das Haus mit einer selbstverfertigten Bronzetafel, welche die betreffenden Daten und das wohlgelungene Medaillonporträt des Dichters enthält. Das Haus ist im März 1884 abgerissen worden, aber auch den inzwischen entstandenen prächtigen Neubau schmückt das Dichterbild mit der Unterschrift auf Granit: »Hier lebte Chamisso bis zu seinem Tode im Jahre 1838.« Hinter dem Hof ist ein Garten, jetzt wohl von Mauern eingeschlossen, aber immer noch mit den alten Kastanien, unter welchen Chamisso gewandelt, und dem Gartenhäuschen, in welchem er sinnend, dichtend oft geweilt. Hier, an jenem Junitage, dem 26., waren seine Söhne, seine Töchter, seine Enkel versammelt, und von hier führte der freundliche Wirt uns in die Räume des ersten Stocks, in welchen der Dichter so viele Jahre gelebt. Das Haus ist eines von denen, wie sie damals zu den vornehmen gehört haben mögen –zweistöckig, mit hohen Fenstern und zu jener Zeit, als es fast noch in den Feldern lag, gewiß auch beschaulich genug. Jetzt, welch eine veränderte Welt! Wo Chamisso damals an jedem Morgen vom Halleschen Tor aus quer durch Wiesen und Kornblumen nach dem Botanischen Garten ging, da sind die kolossalen Güterbahnhöfe der Anhalter und Potsdamer Bahn, und um sein einst ländliches Haus rollt und wogt der Straßenverkehr der Großstadt. Aber dem Wandrer, der des Weges kommt, tut es wohl, das Bild des Dichters zu sehen, wie es mit den ehrwürdig langen Haaren und dem Gesicht voll Anmut, Freundlichkeit und Ernst in das unaufhörliche Treiben der längsten und lärmendsten Straße von Berlin hineinschaut. Und wenn man in den Hof geht, in welchem jetzt Fabrik an Fabrik sich reiht, so erblickt man in dem Nebengebäude rechts ein kleines Fenster. An diesem Fenster war's, wo Chamisso die alte Waschfrau gesehen, der er eines seiner schönsten Lieder gesungen und der er nach Jahren, als sie, von des Alters Last gänzlich niedergedrückt, nicht mehr arbeiten konnte, ein zweites sang, das
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