Bilder Aus Dem Berliner Leben
Vergangenheit zurück, den bürgerlichen Stolz, den Reichtum, den Ruhm dieser Stadt ausmachte, liegt hier begraben. Viele Denkmale sind da, mit Namen, welche die Welt nicht vergessen wird. Und dennoch – ihre Blumen und ihr Efeu sind ihr schönster Schmuck. Wenn man von der Belle-Alliance-Straße hereintritt, dann sieht man lange noch durch das Eisengitter das Gewühl der Menschen, und das Rollen der Wagen folgt uns. Aber je weiter man sich entfernt, desto stiller wird es, und am stillsten ist es längs der Baruther Straße. Da schaut nicht eine Kaserne, sondern ein Schulhaus herüber; die Stimmen, die man vernimmt, sind Kinderstimmen, und durch die Straßenöffnungen erblickt man das Weiß und Grün des Tempelhofer Berges.
Einsamer als dieser, der neue Jerusalemer Kirchhof, ist der alte Hallesche, zu welchem man von der Pionierstraße her, durch einen Seitengang, gelangt. Man hat hier eher den Eindruck einer entlegenen Parkpartie, mit Heckenwegen und dunklen Alleen, als den eines Kirchhofs. Weite Strecken von Gräbern sind der Erde gleichgemacht; mit Ausnahme der Erbbegräbnisse, welche dauern, solange der Kirchhof selber dauert, werden alle anderen nach dreißig Jahren wieder umgegraben und aufs neue benutzt. Hier, unter den alten Bäumen, erhebt sich nur noch einzeln da und dort ein Hügeloder ein Denkmal; und zwischen hohem, dunklem Gebüsch, mit einem zerbrochenen Tränenkrug oder einer umgestürzten Sandsteinurne am Wege, wandelt man dahin. Dennoch ist es erquickend zu sehen, wie selbst diese Gräber, wo nur noch eine Spur von ihnen ist, auch die ältesten von ihnen, erhalten werden. Freilich, Blumen sind selten auf diesem Kirchhof, von dessen Toten uns nun schon Generationen trennen; diese Zeichen der Liebe fehlen ebenso, wie die Besucher nur noch spärlich hier vertreten sind. Rechts durch das Gitter sieht man den »Gottesacker der Brüdergemeinde«; hier erhebt sich kein Denkmal, und flach auf den Gräbern liegen die Steine als ein Zeichen, daß die darunter im Tode gleich sind, wie sie's im Leben waren. Nach links aber, durch einen Gang bejahrter Ulmen und Ebereschen und dicht mit Efeu bewachsener Pappeln führt der Pfad nach dem Dreifaltigkeitskirchhof – und wie seltsam leuchtet das Rot der Azaleen in dem beginnenden Sommerabenddunkel und von den Gräbern her das Gelb der Sonnenblume – wie feierlich der Himmel darüber, so tief und blau – »so ganz, als wollt er öffnen sich« ...
Auf diesem Kirchhof ist es still; man hört die Welt nur wie aus weiter Ferne. Sanfter Abendsonnenschein kommt von Westen herein, und es rauschen die Bäume. Hier an einem Leichenstein lese ich die Worte: »Es ist bestimmt in Gottes Rat« – und es umschwebt mich eine Melodie, als ob sie vorausgesandt sei, mich zu führen, und ich gehe ihr nach, und mir ist wie einem, der im Traume wandelt, und ich stehe vor einem Grabe mit weißem Kreuz und der Inschrift in Goldbuchstaben:
Jacob Ludwig
Felix Mendelssohn Bartholdy ,
geb. zu Hamburg am 3. Feb. 1809, gest. zu Leipzig am 4. Nov. 1847.
Ich erinnere mich, ich war noch ein Knabe, als die Trauerkunde vom frühen Hinscheiden Mendelssohn Bartholdys durch Deutschland ging und auch mich in meiner klösterlichen Schulzelle an der Weser erreichte; und ich weiß auch, welch geisterhaften Eindruck – denn damals war die Eisenbahn noch ganz neu – die Schilderung jener nächtlichen Fahrt auf mich machte, als die Leiche des Unvergeßlichen nach Berlin geführt ward, wo er in heimischer Erde ruhen wollte, zur Seite derjenigen, die von Kindheit an ihm die Teuerste gewesen. Nur wenige Monate vor ihm, im Mai 1847, war ihm die Lieblingsschwester gestorben und hier auf dem Dreifaltigkeitskirchhof begraben worden. Zu ihr zog es ihn hin, an die er – der beste der Brüder, der zärtlichste, derjenige, der mit ihr gleichsam nur ein geistiges Leben gelebt – doch »mit bitterer Reue« darüber dachte, daß er nicht mehr für ihr Glück getan habe, daß er sie nicht mehr gesehen, nicht mehr bei ihr gewesen sei. Nun wollte er sich nie mehr von ihr trennen – nun wollte er ewig bei ihr sein –, und nun ruhen sie nebeneinander, Grab an Grab. Auf dem ihren erhebt sich eine rote Granitpyramide, daran ihr Name geschrieben ist:
Fanny Nathalie Hensel
und, in ihrer eigenen Melodie, die schönen Worte von Eichendorff:
Gedanken gehn und Lieder
Fort bis ins Himmelreich.
Die Noten und die Worte sind kaum noch zu erkennen – denn das Gold auf Leichensteinen hält nicht sehr lang; aber eine Ranke
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