Bilder Aus Dem Berliner Leben
vom Grabe des Bruders schlingt sich um das der Schwester, und neben ihr zur anderen Seite ruht ihr Gemahl, Wilhelm Hensel, der Maler. Zur Seite Mendelssohns liegen sein frühverstorbenes jüngstesKind, »der kleine Felix«, und seine neunzehnjährige Tochter Felicie Henriette Pauline († 1863). Ein schwarzes Gitter umschließt die Gräber, und dichter Efeu bedeckt sie. Schon färbte sich auf dem in der Mitte, dem hohen, dem, in welchem »stumm schläft der Sänger«, eins und das andere Blatt rot – lau war die Luft und kein Mensch in der Nähe. So still war es, daß man nur das Rauschen des Abendwindes vernahm oder dann und wann noch einen Vogel im Gebüsch und das Niederrieseln des Wassers, wenn die Kirchhofsgärtner kamen, um die Gräber zu begießen.
Nicht weit von diesen Gräbern, auf demselben Kirchhofe, sind drei andere – drei, doch auch sie wie zu einem geschlossen: Varnhagens Grab, Rahels Grab und das Grab der getreuen Dienerin, Dorothea Neuendorf, Rahels Dore. So ganz umwachsen und verhüllt von Efeu sind diese Gräber und Steine, daß es schwer ist, bis zu den Inschriften und Namen zu dringen. Aber als sie nun vor mir standen, welche Fülle von Erinnerungen wurden mit ihnen wach, an das Haus in der Mauerstraße, das heute noch, innen wohl, aber außen kaum verändert, die Französische Straße hinuntersieht. Wie gut kenne ich noch das Eckfenster im ersten Stock, und welch eine glänzende Reihe von Berühmtheiten ging dort an den Blicken des jungen Studenten vorüber! Berühmtheiten der Literatur, Berühmtheiten der Gesellschaft; denn alle, von den Tagen der Romantik bis zu denen des »Atta Troll«, waren einmal durch diesen Salon gewandelt und hatten ihm einen Parfüm der Vergangenheit zurückgelassen, etwas, das nach Staub und welken Blumen roch, wie ein altes Buch, das man aufschlägt. Aber wie berauschend war dieser Duft für uns, die heraufkommende Generation, und wie schwer wird es uns jetzt noch, in einer unterdes so realistisch gewordenen Welt, anders als mit Pietät an diese Letzten einer Periode zu denken,in welcher die Romantik noch nicht tot war, was man auch sagen mochte, sondern dem Throne selber, der Politik, den Angreifern wie den Angegriffenen, der liberalen Opposition und sogar den radikalen Freiheitsbestrebungen ihren schillernden Mantel umwarf. Klug und praktisch sind wir erst viel später geworden, unser äußeres Leben reicher, unser inneres ärmer; jene Zeit aber war durchaus künstlerisch, durchaus literarisch oder belletristisch gestimmt; und ein Abschiedsglanz derselben fiel auf diesen altmodischen, an den Anfang des Jahrhunderts erinnernden Salon, in welchem ich noch einige von den Alten sah – ihn vor allen anderen, den schönen Greis mit dem Silberhaar, dem eisernen Kreuz auf der Brust und »demselben feinen Lächeln«, welches Heine schon bezaubert hatte, In der Widmung des »Atta Troll«. hinter welchem sich aber etwas Scharfes und Ironisches verbarg. Tages über hielt er sich in seinem an den Salon stoßenden, hohen und geräumigen Kabinett, zu welchem nur wenige Zutritt hatten. Hier, an seinem Arbeitstisch, in der Mitte des Zimmers, saß er, jahrelang, horchend auf das Geräusch der Welt, die vertraulichen Worte seiner Freunde aufzeichnend, ihre kleinsten Billetts registrierend und über Personen und Zustände harte Dinge niederschreibend in einer zierlichen Handschrift und dem Geheimratsstil Goethes. Die Wände waren ganz mit Büchern bedeckt, darunter zahlreiche Schachteln und Schächtelchen, sorgfältig etikettiert und nach dem Alphabet geordnet. Aus ihnen sind, nach seinem Tode, jene »Impietäten« ans Licht gekommen, welche vorübergehend einen Schatten auf die große Gestalt Alexander von Humboldts warfen und den Ruhm Varnhagens so sehr getrübt haben, daß man immer noch seinen Namen nur mit einer gewissen Reserve nennt. Aber wenn wir gerecht sein wollen und die damaligen Verhältnisse bedenken, die politischenallgemeinen und seine besonderen, persönlichen, so werden wir sagen: Dieser Mann hat, zur Zeit von Preußens tiefster Erniedrigung, zu der Zahl derer gehört, welche den Umschwung und Aufschwung vorbereiten halfen; er hat als Soldat in den Befreiungskriegen und als Diplomat in den Staatsgeschäften seine Dienste geleistet – und wie hat man ihm gedankt? Mag Gereiztheit ihm die Feder geführt und Bitterkeit sie getränkt haben – er hat niemals ein Wort geschrieben, in welchem seine Liebe zu Vaterland und Freiheit oder seine Hoffnung auf die Zukunft
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