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Bilder Aus Dem Berliner Leben

Titel: Bilder Aus Dem Berliner Leben Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Julius Rodenberg
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Abend sieht, aufs neue frappant und überraschend. Die Flut von Licht, von Menschen und Wagen, geräuschlos auf dem spiegelglatten Asphalt dahinrollend, die Pracht der Läden und der Reichtum der Schaufenster umgibt mich das Berlin unserer Tage, das große, kaiserliche Berlin. Ich aber suche das Haus an der Ecke der Französischen und Charlottenstraße auf, das mit den beiden Säulen und den tiefen Kellern, aus welchen es nach altem Wein riecht. Ich trete in die wohlbekannte Stube, linker Hand, und setze mich an den Tisch in der Ecke, einen schlichten hölzernen Tisch, mit grünem Wachstuch überzogen. Alte Bilder hängen an den Wänden, Bilder von Jenny Lind, von Hamburg vor dem Brande, von der Harburger Brücke, als diese noch von Holz war und Soldaten darüber hinzogen mit Tschakos und Federbüschen; vor allem aber Bilder von Schauspielern und alte Theaterzettel. Um diese frühe Stunde des Abends ist es noch stille hier, und ich sitze ganz allein. Aber nach und nach setzen sich Männer zu mir, einige, die ich gekannt, andre, die ich nicht gekannt habe, jedoch alle mir so vertraut, daß ich wie unter Freunden bin. Dort an der Wand, das dunkle Porträt, wird lebendig – es ist Ludwig Devrient;das Bild daneben fängt an, mit den kleinen, grauen Gespensteraugen zu zwinkern – es ist E. T. A. Hoffmann. Hier über mir rührt sich ein andres, ein feines, sarkastisches Gesicht und deutet mit jenem Blick, der uns oft zu Tränen gerührt und oft zu unauslöschlichem Gelächter hingerissen, nach einer Inschrift hinter Glas und Rahmen neben dem Ofen – ich lese:
    »Gleichgültigkeit gegen den Champagner ist Heuchelei.
Stelle Dich nicht kalt, wenn er kalt gestellt wird.
Theodor Dörig, Kgl. Hofschauspieler.«
    Wir sind bei Lutter und Wegner.
    Auf denn! wenn noch Tugend in der Welt ist – Wilhelm!
Eine Flasche Champagner; und trinken wir auf die
Toten – auf die, welche niemals sterben! ...

Die frühen Leute
    (Wintermorgen in Berlin. Februar 1886)
    Ja freilich bin ich einer von denen, die frühe Stunden halten – mögen meine Freunde darum nicht weniger gut von mir denken! Ich liebe die späten Gesellschaften nicht; ich bin nicht glücklicher, als wenn ich des Morgens aufstehen kann mit klarem Kopf und erfrischter Lust zu den täglichen Geschäften. Ich mag mir des Abends, wenn andere ehrliche und gesetzte Leute zu Bette gehen, nicht den Frack anziehen, um mich in Säle zu begeben, die von Gas und Hitze strahlen, unter einen Haufen geputzter Herren und Damen, die mir (und meistens auch sich untereinander) gleichgültig oder langweilig sind; mit denen ich Gespräche führen muß, die weder sie noch mich interessieren, bald mit diesem, bald mit jenem, um die Zeit hinzubringen, Gespräche, die keinen Anfang und kein Ende haben. Auch die Musik zwischen elf und zwölf ist mir fatal, und ich glaube, diesen Herren und Damen nicht minder, die den Augenblick nicht erwarten können, bis sie sich, hungrig wie die Wölfe, nach Mitternacht zur Tafel setzen – wenn sich nicht etwa, zum Schrecken aller, ein Büffet auftut, wo die Hand und Gabel jedes gegen jeden erhoben ist – und dann Gott noch mehr als ihren Wirten danken, wenn die Sache zuletzt überstanden – um morgen abend von neuem anzufangen und jeden Abend, drei Monate lang, den ganzen Winter hindurch, sich zu wiederholen.
    Wer mich vergnügt sehen will, der muß in eine von den kleinen Wirtsstuben kommen, in denen man an Tischen von unpoliertem Eichenholz sitzt. Die Platten sind so weiß und so rein gescheuert, daß man alle Masern und Adern des ursprünglichen Wuchses darin erkennen kann; und dies allein schon würde hinreichen, mir ein Gefühl des Behagens zu geben. Wenn ich eintrete, pflegt es noch still zu sein; kaum daß hier oder dort, an dem einen Tisch oder dem andern, ein früher Gast sitzt, gleich mir selber. Die Lichter brennen nur halb, und der Kellner, der mich kennt, gibt sich keine Mühe, sie höher zu schrauben. Denn er weiß, daß ich die mittlere Helligkeit und die mittlere Temperatur bevorzuge. Er kennt mich und meine Gewohnheiten und meinen Platz; wir haben uns nicht sehr viel zu sagen und hegen doch die größte Hochachtung voreinander. Er bringt mir meinen Wein und mein Kuvert und meine Zeitung und läßt mich alsdann allein. Oh, wie die Einsamkeit einem wohltut in solch einer gemütlichen Wirtsstube! Sich endlich einmal ganz selber zu gehören – kein überflüssiges Wort sprechen, keine leere Frage beantworten zu müssen, tun und denken zu dürfen,

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