Bilder Aus Dem Berliner Leben
er ist äußerst saubergehalten, liegt schon fast ganz im Freien, und auch auf seine Gräber scheint diese Sonne des Pfingstvorabends freundlich, friedlich hernieder. Auf der Straße vor demselben ist es ganz einsam und still, bis auf die Kinder, die mit nackten Füßen auf dem holprigen Steinpflaster herumspielen. Doch auch hier noch, an der äußersten Grenze Berlins, hat man die ganz bestimmte Empfindung der Sicherheit, welche die Zusammengehörigkeit mit einem großen Ganzen gibt. Zwar einen Schutzmann habe ich hier – und auf meinem ganzen Wege – nicht gesehen, und mich verlangte auch nicht nach ihm. Aber dafür sah ich – erstens – einen Sprengwagen mit dem Bären, dem Wappenbilde der Stadt Berlin, welcher hier, in dieser entlegenen, armen Straße, so gut für Reinlichkeit sorgt wie in irgendeiner der vornehmsten des Tiergartenviertels; und zweitens sah ich, als fast das letzte Haus, eine Gemeindeschule – eines jener stattlichen Gebäude, die sich überall in diesen Volksquartieren wie die festen Burgen guter Gesittung erheben und den für eine Weile von allen Banden der gewohnten Umgebung abgelösten Wandrer mit einem wundersam frohen Vorgefühl der Zukunft erfüllen.
Immer schon, indem man diese Straße hinangeht, hat man vor sich einen weißlich dämmernden Streifen mit dem Blau des Himmels darüber; und hier endlich ist kein Berlin mehr – kein Haus mehr, so weit der Blickreicht, nur eine Windmühle und sandiger Hügel. Hier sind wir im Freien. Vor uns liegt die Heinersdorfer Gemarkung. Der Geruch des Kornfeldes ist in der Luft, und die Spitzen der Halme, vom Abendwinde geschaukelt, schimmern rötlich in der untergehenden Sonne. Weit hinüber dehnt sich der Abendhimmel, weit und blau, nur an den Rändern dunstig von der Atmosphäre der Stadt, in welcher ein und eine Viertelmillion Menschen atmen und arbeiten, von deren ungeheurer, stundenweiter Ausdehnung man aber hier oben nichts sehen kann. Man sieht nur das Nächste, das nächste Haus, die nächste Straße, die Windmühle, den Sandhügel – und eine Lerche schwirrt über den Feldern und singt, wie ich sie habe singen hören, einst, auf den Hügeln meiner Heimat, am Vorabend des Pfingstfestes ...
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Kehrt man nun von hier in die Schönhauser Allee zurück, so mag sie einem wohl mit ihren Gärten und Villen und Häusern und Pferdebahnen und Omnibussen wie eine Stätte alter Kultur erscheinen. Hier ist alles bepflanzt und bebaut – nur der Platz an der »einsamen Pappel«, ganz oben, ist noch, wie er war, solange Menschen sich erinnern können. Hier, auf dem freien Felde, ging es einst stürmisch her in den Volksversammlungen des Jahres 1848, welche die »einsame Pappel« berühmt gemacht haben. Aber jetzt ist es auch dort still. Auf dem spärlichen Graswuchs lagert hier und dort ein Arbeiter, der seine Zeitung liest oder sein Abendbrot verzehrt oder sich zum Schlaf ausgestreckt hat; ein paar Kinder tummeln sich an den sandigen Abhängen, ein paar Spaziergänger kommen über den kaum erkennbaren Pfad, und in der Mitte, schon im Schatten, steht sie selber, die Pappel – der einzige Baum weit und breit – und am Rande des Feldes glühend rot der Ball der untergehenden Sonne.
Wenn man nun weiter zum Schönhauser Tor abwärts geht, so gerät man in ein dichtes Volksgewühl. Von rechts und von links funkeln die Lichter und schallt Musik aus den Gärten der großen Brauereien, welche von dem behäbigen Mittelstand der benachbarten Gegend besucht werden. Die eigentlich populären Vergnügungslokale, wo man unglaublich viel für wenig Geld zu sehen und zu hören bekommt und welche gleichfalls hier an der Einmündung der Kastanienallee in die Schönhauser Allee liegen, sind heute noch dunkel. Aber in hellstem Glanze werden sie morgen strahlen; denn mit dem ersten Pfingsttag und einem Frühkonzert eröffnen sie ihre »Saison«. Dann werden Puhlmanns Garten, die Neue Walhalla und der Berliner Prater mit Tausenden gefüllt sein. Im Hintergrunde steht ein kleines Theater, auf welchem unter freiem Himmel abwechselnd sentimentale Sängerinnen und Tanzkünstler sich produzieren, Komödien und Zauberpossen aufgeführt werden, von denen jedoch nicht der dritte Teil der bis an den äußersten Rand gedrängt stehenden oder sitzenden Zuschauer ein Wort verstehen oder einen Ton erhaschen mag, wie gespannt sie auch lauschen. Gleichzeitig ist vorn in einem Saal am Eingang »Ball«; wird geschossen, gewürfelt, »gewogen«, die »Kraftprobe«
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