Bilder Aus Dem Berliner Leben
Trotzdem scheinen die Marktfrauen mit der Veränderung nicht sehr zufrieden. Eine von ihnen, eine Gemüsefrau, bei der ich mich erkundigte, wie das Geschäft hier oben gehe, klagte, daß es auf dem Pappelplatz besser gewesen. Da seien die Arbeiter gekommen und hätten gekauft, mit dem Wochenlohn in der Tasche; hier herauf aber, »auf den Berg«, möchten sie nicht steigen. Dennoch bietet der Markt auf dem freien, schönenPlatz, zumal an diesem Pfingstsonnabend, ein sehr anziehendes Schauspiel mit der bunten Menge, die sich zwischen den Buden und Zelten auf und ab drängt, mit all den guten Sachen, die darin aufgehäuft sind, mit dem Geruch von frischem Kuchen – Napfkuchen in allen Formaten und Weißbrot vom Gesundbrunnen bergehoch übereinandergetürmt –, mit dem Abendlicht und dem Geläute der Glocken, welches unablässig von der Zionskirche herüberklingt. Wagen, hoch mit Maien beladen, stehen in den einmündenden Straßen, und Kalmusbüschel sind auf allen Tischen und in allen Händen – denn ohne diese Pflanze, welche lange schon an unsren Sümpfen und Gewässern wild wuchert, kann der kleine Mann in Berlin sich Pfingsten nicht wohl denken. Er stellt die Blätter in einem Wasserglas ans Fester seines Zimmers, das sie mit ihrem schwachen Aroma erfüllen, und aus der Wurzel macht sein Junge sich Flöten, deren schnarrender Ton um diese Zeit als die eigentliche Pfingstmusik an allen Ecken und Enden von Berlin gehört wird.
Unabsehbare lange Straßen ziehen sich von hier hinaus ins Freie.
Die Straßen waren vor vierzig, fünfzig Jahren noch wirkliche Landstraßen, auf denen der gesamte Personen- und Güterverkehr der damaligen Zeit sich bewegte; Chausseen, auf welchen Frachtwagen und Postkutschen fuhren, durch das Hamburger Tor nach den mecklenburgischen Landen und Hamburg, durch das Rosenthaler und Schönhauser Tor nach Pommern und Stettin, durch das Prenzlauer Tor nach Stralsund, durch das Landsberger Tor nach Ostpreußen und so weiter. Dergleichen Chausseen oder Alleen gab es damals in allen Richtungen von Berlin.
In dem rascher vorwärtsgeschrittenen Westen, wo diePotsdamer Straße noch 1831 »Chaussee nach Potsdam«, und im Süden, wo die Belle-Alliance-Straße noch 1842 »Weg nach Tempelhof« hieß, sind die Bezeichnungen verschwunden, während sie sich hier auf dem etwas länger zurückgebliebenen Strich erhalten haben, von der Chausseestraße im Norden bis zur Prenzlauer Chaussee und Landsberger Allee im Nordosten. Und nicht nur der Name, sondern auch, je weiter man kommt, ein gewisses ländliches Ansehen, welches sich zuletzt zu einer Art ländlicher Einsamkeit steigert. Denn wiewohl jetzt Häuser stehen und fortwährend gebaut werden, wo vor nicht langer Zeit Gärten und Felder waren, so haben diese Straßen doch meist ihre natürliche Breite beibehalten, welche in der Schönhauser Allee so beträchtlich ist, daß man an manchen Stellen kaum noch von der einen Seite nach der anderen hinübersehen kann und auf diese Weise gar nicht mehr das Gefühl hat, in einer Straße zu sein. Dichte Gruppen alter, schöner Kastanien stehen noch in der Kastanienallee, welche von der Zionskirche hierherführt, und sie geben, zumal in der Blütezeit, mit ihrem Grün und Silber der endlos langen Straße einen freundlichen, traut anheimelnden Charakter. Seitenstraßen zweigen sich von diesem Plateau langsam bergab zur Schönhauser Allee, der großen Kommunikationsader des Ostens mit dem Norden, wie es die Brunnenstraße die des Zentrums und die Chausseestraße die des Westens ist. Kreuzt man die Schönhauser Allee, welche mit der beständigen Bewegung von Menschen und Wagen einen äußerst lebendigen Eindruck macht, so befindet man sich in einer stillen, noch wenig bebauten, mit vielen offenen, nur von Bretterzäunen umschlossenen Straße, der Pappelallee, das Ende derselben bezeichnet das Ende der Stadt überhaupt. Auf dem Wege dorthin sieht man eine Mauer mit einem Schilde darüber, welches besagt, daß dies der Kirchhof der freireligiösen Gemeinde.Klein, wie diese Gemeinde sein mag; Wenn ich den Verwaltungsbericht 1877-81 (I, 97) richtig verstanden habe, so zählte sie 1880: 1173 Mitglieder gegen 710 im Jahre 1875. ist auch ihr Kirchhof der kleinste, den ich in Berlin gesehen habe. Die Mitglieder derselben gehören zumeist dem Stande der kleinen Gewerbetreibenden und Arbeiter an; und bescheiden wie der Saal, in dem sie sich zur gemeinsamen Andacht versammeln, ist auch der Kirchhof, auf dem sie begraben werden. Aber
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