Bilder Aus Dem Berliner Leben
Charlotte Stieglitz, und auf dem Kreuze desselben sind die Worte: »Wir werden uns wiedersehen, freier, gelöster!« – die letzten, mit denen sie, das junge, blühende Weib, ihr Leben opferte, wähnend, daß ein großer Schmerz allein ihren zurückbleibenden Gemahl zu großen dichterischen Taten wecken könne – den Unglücklichen, der nun neben ihr ruht, ohne die große dichterische Tat, die sie von ihm geträumt! ... Hier, auf dem neuen Sophienkirchhof, ist auch das Grab Lortzings, und wer auf dem mehr als bescheidenen Denkstein diesen Namen liest, dem mag das Herz wohl übergehen in dankbarer Erinnerung an die vielen lieblichen, erquickenden Melodien, deren Schöpfer er war, und in Wehmut über das Schicksal dieses wahrhaft spontanen Talents, welches im kleinen Genre so groß war! Er hat es nicht erleben sollen, der nach unstetem Wandern kaum achtundvierzigjährig und im Elend starb, seine Werke mit dem königlichen Glanz unseres Opernhauses aufgeführt zu sehen, wo sie mitten zwischen den Banalitäten des Tages und der gespreizten Unnatur den unbefangenen Hörer anmuten wie die Wald- und Quellenfrischeder echten Natur, so voll von reiner Heiterkeit und so frei von jeder Spur des mühsam Gemachten – so ganz, wie von selbst geworden!
Deutsch war sein Lied, und deutsch sein Leid,
Sein Leben Kampf mit Not und Neid.
Das Leid flieht diesen Friedensort,
Der Kampf ist aus, das Lied tönt fort.
Mittlerweile hat der Magistrat dem ehemaligen alten Sophienkirchhof seine jetzige freundliche Gestalt gegeben, und derjenige, dem die Nachbarschaft dankbar dafür sein muß, war ein früherer Berliner Bürger, der im August 1877 zu Dessau verstorbene Rentier Heyse, der die Stadt Berlin zur Erbin seines großen, über eine Viertelmillion Mark betragenden Vermögens einsetzte. Er überließ dem Ermessen des Magistrats die Verwendung der Zinsen »zur Förderung alles dessen, was für die bedürftigen, aber fleißigen, talentvollen Bewohner der Stadt nützlich ist«. Er wünschte auch, daß ein Teil des Einkommens »zur Verschönerung der Stadt, zur Bepflanzung mit Bäumen« verwandt werde. Dann fuhr er fort: »Insbesondere empfehle ich die Überschüsse als Beitrag, wenn es sich ereignen sollte, daß geschlossene Begräbnisplätze zu Erholungsplätzen für alt und jung eingerichtet werden sollten ... Es wäre eine Wohltat für die Bewohner und ein Schmuck für die Stadt, wenn die in und um die Stadt noch bestehenden schattigen Begräbnisplätze den Nachkommen für spätere Zeiten zu Erholungsplätzen erhalten würden ... Die Liebe zu meiner Vaterstadt führt mich zu dieser Betrachtung.«
Im Sinne des guten Mannes wurde demgemäß der alte Sophienkirchhof in eine Stätte der Erholung für diesen Stadtteil verwandelt, der an solchen Plätzen bisher besonders arm gewesen war. In dem Berliner Wohnungsanzeiger wird er noch immer als »Kirchhof« aufgeführt,aber die Leute dieser Gegend nennen ihn »Spielplatz«. Er nimmt noch den ganzen Raum zwischen Berg- und Gartenstraße ein, nach welcher sich ein zweiter Ausgang öffnet, und hat seinen eigenen, vom Magistrat bestellten Aufseher, der des Abends die beiden Pforten verschließt. Von den Gräbern ist keine Spur mehr, aber noch stehen und rauschen die hohen, alten Bäume, und auf den Bänken, die sich hier reichlich vorfinden, oder auf Schemeln, hölzernen Stühlen und Rohrsesselchen, die sie sich selber mitgebracht haben, sitzen hier in der Abendkühle die Bewohner der angrenzenden Straßen, alte und junge Ehepaare traulich beisammen, und die Kinder jagen sich auf dem Rasen, während durch das Grün der Gebüsche die großen Feuer der anstoßenden Hoppeschen Maschinenfabrik leuchten. Für den Wanderer, der hierherkommt, ist es ein erfreuender Anblick, zu sehen, wie für das heranwachsende Geschlecht überall in dieser Stadt gesorgt ist; und nachdem er vielleicht vor einer Stunde dem Spiele der Jugend im Tiergarten zugeschaut, nun auch hier in diesem dichtbevölkerten Quartier, unter Fabriken und Schornsteinen, Scharen fröhlicher Kinder zu begegnen, weniger elegant und nach der Mode gekleidet als jene, Proletarierkinder, aber doch auch mit ihrem bescheidenen Anteil an frischer Luft und belebendem Grün und ebenso glücklich in ihrer harmlosen Lust, wenn es gleich Gräber sind, auf denen sie spielen.
Endlich bietet sich mir auch in der Ackerstraße noch ein Anblick, welcher allein genügen würde, den ungeheuern Abstand von einst und jetzt darzutun oder gewissermaßen in einem
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