Bilder Aus Dem Berliner Leben
Erde zurückgaben, der, auf dessen Sarg mit schmerzlichem Fahrewohl die Scholle gelben Sandes niederrollte, war der Dichter des »Narziß«. Um die Mitte der fünfziger Jahre war er von einem Abend zum andern Morgen plötzlich ein berühmter Mann geworden – Ruhm des Theaterdichters, wie gleichst du dem Rausche, der auch nicht länger währt als vom Abend zum Morgen und mitunter einen bitteren Nachgeschmack hinterläßt. In den langen Jahren nachher hatte Brachvogel nichts mehr zu schaffen vermocht, was jenem ersten Erfolge gleichkam, und wiewohl noch im besten Alter, ging er doch von uns, ein halb schon Vergessener.
Das Grab, das ich heute suche unter der goldenen Helle des Pfingstmittags, ist das eines Mannes, dessen Namen bedeutungsvoll mit meiner frühesten Jugend zusammenhing. Er war, am Anfange des Jahrhunderts, in demselben Städtchen geboren worden wie ich. Er war der Schulkamerad meines Vaters gewesen. Er war früh fortgewandert aus der Heimat, war in Kassel und Italien gewesen und hatte sich zuletzt in Berlin niedergelassen. Dies alles beschäftigte die Phantasie des Knaben wundersam, dem Kassel, die Hauptstadt Hessens, wie etwas Fernes, fast Unerreichbares vorschwebte, dem Italien von den Nebeln und Schatten der römischen Königsgeschichte erfüllt schien und der vor Berlin – Furcht hatte. Denn Berlin war damals nicht wie heute der Attraktionspunkt für die strebsame deutsche Jugend; es stieß mehr ab, als es anzog, und es gehörte Mut dazu, das Vorurteilzu überwinden. Eines Tages fand ich den Namen dieses Mannes in Brockhaus' Konversationslexikon: »Zahn, Wilhelm, Architekt und Ornamentenmaler, geb. 21. August zu Rodenberg in Hessen« und so weiter. Es war wie eine Offenbarung für mich, den Namen dieses Mannes und dieses Städtchens gedruckt zu sehen – als ob der Strahl von etwas bisher Ungeahntem, Fremdem und Unbekanntem über meinen Weg fiele ...
Zwanzig Jahre später sah ich ihn zuerst in Berlin, einen freundlichen, schmunzelnden alten Herrn, das obere Knopfloch seines Rockes mit dem Bändchen des Roten Adlerordens geziert, eine von den typischen Figuren des alten Berlins. Denn er war in der langen Zeit vollständig zum Berliner geworden und erfreute sich hier einer geachteten Stellung. Seine Nachbildungen der Pompejanischen Wandmalereien hatten ihm frühe schon die Aufmerksamkeit Goethes gewonnen, welcher über die zehn ersten Hefte seiner »Ornamente und Gemälde aus Pompeji, Herculanum und Stabiä« einen sehr eingehenden und warm anerkennenden Aufsatz in den »Wiener Jahrbüchern« (1830) schrieb. Mit diesem Hauptwerk war der Professor bis an sein Ende beschäftigt, und Italien und Goethe blieben die großen Erinnerungen seines Lebens. Er sprach von Goethe wie von einem, der noch gegenwärtig ist, und ging niemals in Gesellschaften, ohne zweierlei bei sich zu tragen: eine große Rolle seiner Pompejanischen Wandbilder und eine Lithographie des letzten an ihn gerichteten Briefes von Goethe. Die Gesellschaften damals waren noch weniger turbulent, gedrängt und hastig, als sie heute sind: Man nahm sich die Zeit, Bilder anzusehen, Briefe zu lesen und ein gemütliches Gespräch zu führen. Dabei war mein Landsmann keineswegs unempfindlich gegen die bescheidenen Freuden der Tafel und besonders dankbar für jeden guten Risotto, für jede Schüssel Makkaroni und jede FlascheChianti – Dinge übrigens, die man damals auch noch nicht so leicht Unter den Linden haben konnte wie gegenwärtig. So lebte der Alternde harmlos und zufrieden, und so sah ich ihn zuletzt am 21. August 1871, seinem siebenzigsten Geburtstag: Heiter grüßend und lächelnd fuhr er mir in der Viktoriastraße vorüber, und am 22. war er tot. Daß er gestorben, erfuhr ich – wie das in Berlin ja so manchmal geschieht – erst aus der Zeitung, nachdem er schon begraben war. Von den vielen, die dem schlichten, wohlwollenden Künstler im Leben nahegestanden, hatten sich zu seinem Begräbnis sehr wenige nur eingefunden – ich glaube, nicht mehr als acht oder neun Personen. »Der Himmel weinte seine Tränen«, hieß es in dem Zeitungsbericht über seine Bestattung, »als der einfache Sarg in die Gruft gesenkt wurde. Aber als der Prediger in klarer und verständlicher Rede die Verdienste des Mannes hervorhob, der nun so still und schmucklos bestattet wurde, da brach die Sonne aus dem düstern Gewölk wieder hervor und bestrahlte den Sarg in lichtem Glanze.«
Ich malte mir aus, welchen Eindruck es auf mich machen würde, das, was ich
Weitere Kostenlose Bücher