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Bilder Aus Dem Berliner Leben

Titel: Bilder Aus Dem Berliner Leben Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Julius Rodenberg
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einst im Konversationslexikon gelesen, nunmehr auf seinem Grabstein wiederzusehen. Aber es war jetzt, nach mehr als dreizehn Jahren, nicht leicht, auf dem großen, inzwischen so beträchtlich angewachsenen Kirchhofe das Grab zu finden. Der Totengräber, welcher unter der grünen Veranda seines Häuschens am Eingange des Kirchhofes stand, hatte nie von einem solchen Manne gehört, obwohl ich ihm sagte, daß dieser zu seiner Zeit ein Professor und ansehnlicher Mann in Berlin gewesen, auch viele Orden gehabt und beim hochseligen König in besonderer Gunst gestanden habe. Wie sich herausstellte, hatte das Begräbnis noch unter dem Amtsvorgänger stattgehabt, und ich dachte darüber nach, was es mit dem Ruhm zu bedeuten habe,der nicht einmal von einem Totengräber bis zum andern reicht, alas, poor Yorick! ... Er holte hierauf sein Totenbuch heraus, sozusagen das Adreßbuch des Kirchhofs. Denn hier hat jedes Grab seine Nummer, wie jedes Haus in einer Straße. Wir blätterten dreizehn Jahre zurück – und oh, wie ward mir seltsam zumute, als ich so mit dem Finger über ganze Jahrgänge von Toten dahinfuhr und an die traurige Frage des Hamlet dachte: »How long will a man lie i' the earth ere he rot?« – und an die noch traurigere Antwort des Totengräbers, der bei Shakespeare ein »Clown« ist. Endlich, hier stand es – »Wilhelm Zahn, Professor« –, und nun sagte der Totengräber: »Kommen Sie«, und führte mich den langen Sandweg hinab, unter einer dichten Allee, durch welche man ins Freie hinaussieht, auf die gelblich sandigen Ausläufer der Wurzel- oder Rehberge. Dann bogen wir seitwärts ab, in die Reihen der schmal zusammengedrängten Gräber, an einem Brunnen vorbei, tief hinein zu einer entlegenen Stelle, wo die Denkmäler aufhörten und selbst die bescheidensten Kreuze nur noch selten waren. »Hier herum muß es sein«, sagte der Totengräber. Dann zog er aus einem der Gräber ein Stäbchen, um sich nach der darauf befindlichen übrigens kaum noch erkennbaren Ziffer zu orientieren – ich glaube, es war 120 –, zählte an den folgenden Gräbern weiter und sagte zuletzt: »Dies ist es« – auf einen kleinen zusammengeschrumpften Hügel deutend, der traurig dalag zwischen seinen anderen stillen Nachbarn – ohne jeglichen Schmuck, ohne Stein, ohne Namen – nichts, nichts, nichts als eine Nummer – nur ein mitleidiges Fliederbüschchen stand auf dem grasüberwucherten Hügel und ließ seine blassen Blüten traurig niederhängen ... Und dies war die Ruhestätte meines Landsmannes; das Grab desjenigen, der mir den ersten Begriff des Ruhmes gegeben und später, wenn ich ihn in Goethes Schriften undGesprächen mit Eckermann erwähnt fand, mich noch mit einer leisen Bewunderung erfüllte – der einzige von den mir persönlich Bekannten, auf welchem das große Auge Goethes teilnehmend geruht ...
    Hier, wo die neuen Häuser von Berlin erst gleichsam von ferne heranrücken, sind einige von den alten, gemütlichen Weißbiergärten geblieben, wie man auf unserer Seite der Stadt sie nur noch selten antrifft. Leute verkehren hier von anständigem Äußeren und gesetztem Alter, Handwerker in wohlgebürsteten Röcken und mit hohen Zylinderhüten, die sie nur am Sonntage tragen – einige mit ihren Frauen, in ruhiger Unterhaltung an den runden Tischen unter den blühenden Ahornbäumen. Ach, wie tut es wohl; wenn man wieder einmal den großen und unlösbaren Fragen hoffnungslos gegenübergestanden, diese Leute miteinander sprechen zu hören von ihren kleinen häuslichen Geschäften, von ihren kleinen Freuden und kleinen Leiden, wie jetzt alles in die Höhe gegangen, die Preise teurer, die Ware geringer geworden – alle der Reihe nach wissen Wunderdinge zu erzählen, wie sonst Lebensmittel und Wohnungsmiete so gut wie gar nichts gekostet hätten und die Kleidungsstücke so dauerhaft waren, daß gar kein »Vergang« an ihnen gewesen. Ob denn heutigen Tages wohl in ganz Berlin noch ein solcher Hut zu haben wäre wie der da, der seine zwanzig Jahre gehalten? Worauf der ehrsame Meister den beregten Gegenstand zur großen Befriedigung aller Anwesenden vorzeigt und die Runde machen läßt. »Ja«, sagt die Frau Meisterin, »den hat er sich gekauft, als wir getraut wurden«, und der Meister, indem er den Hut mit dem Ärmel glattstreicht: »Den will ich auch wohl noch tragen, wenn unser Marthchen Hochzeit macht.« Und nun eine lange Geschichte von Marthchen – wie brav sie sich in der Schule gehalten, wie zufrieden die

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