Bilder Aus Dem Berliner Leben
Wien kamen; die Vorfahren aller gegenwärtigen Größen jüdischen Ursprungs und unter ihnen nicht wenige, deren Nachkommen, ihrem jüdischen Ursprungentfremdet, hohe Stellungen im Staat und in der Beamtenwelt einnehmen. Aber für den Herrn Inspektor gehören sie noch immer zur Familie, und mit derselben Liebe und Pflege hegt er ihr Gedächtnis.
Er gibt mir das Geleit bis an den Eingang des Friedhofs; denn der Boden ist feucht und die Luft zu rauh für den würdigen Greis. »Sie müssen wiederkommen«, sagte mir beim Abschied der biedre Alte, »wenn die Gräber grün sind und die Fliederbäume blühen«, und ich versprach es ihm. Aber ich kann das einmal Versäumte nun nicht mehr nachholen: Am Mittwoch, 23. März 1887, ist auch er zu seinen Vätern versammelt worden. Und nun bin ich allein unter diesen Toten. Der älteste Grabstein ist von 1672, der zweite von 1675, und bis zum Jahre 1827, wo der neue, nunmehr auch geschlossene Friedhof vor dem Schönhauser Tor angelegt wurde, war dieser die einzige Begräbnisstätte der Gemeinde. Gegen zwölftausend Tote ruhen auf ihm. Die Juden haben einen schönen Ausdruck für einen Friedhof; sie nennen ihn den »guten Ort« – und er war es wohl jahrhundertelang für sie, der Ort, aus welchem sie nicht mehr vertrieben werden konnten. Ein jüdischer Friedhof, wenn er nicht etwa jene Art schauerlicher Romantik wie der Prager hat, bietet dem fremden Besucher wenig Anziehendes. Es ist nur die düstre Seite des Todes, die er zeigt; er verhüllt nichts durch freundlichen, zu den Sinnen sprechenden und sie beruhigenden Schmuck. Aber was die Pietät für die Gestorbenen betrifft, so möchte ich wohl in Berlin vergeblich einen andern Friedhof suchen, wo man ihr Andenken über zwei Jahrhunderte hinaus in gleicher Weise liebevoll erhalten hat. Mehr als dreitausend von den alten Grabsteinen sind ermittelt, renoviert und zum Teil wieder aufgerichtet worden. Die tiefe Melancholie des Herbsttages ruht auf dieser stillen Stätte voll aufrecht stehender Steine, mit kahlen Bäumen dazwischen und welkem Laub, aufgehäuft über den eingesunkenen Gräbern. Ringsum istder Friedhof von einer Mauer und von Häusern eingeschlossen, durch den Nebel herein schaut der hohe Turm der Sophienkirche, und dumpf, mit den Geräuschen aus den umgebenden Gebäuden, mischt sich der Lärm der Stadt. Vorn an der Mauer, wo früher der Eingang gewesen, sind die Gräber der Rabbinen und dann, in einer großen Gruppe zusammen, die der ersten Einwandrer aus Wien. Viele von diesen Grabsteinen sind sehr zierlich ausgehauen, mit Säulenknäufen und Blumengewinden – dem spärlichen Zierat, welchen das jüdische Ritual den Toten gestattet. Hier und dort sieht man die segnend zusammengefügten Hände der Priester, die Gießkanne der Leviten. Auch der Löwe findet sich, um anzudeuten, daß der Name des hier Bestatteten Jehudah gewesen – denn Jehudah heißt Löwe. Zahlreich sind die Gedenktafeln, welche von Urenkeln bis zur achten Generation ihren Vorfahren gewidmet worden; und ganz am Ende gelangt man auf ein weites Stück, von Rasen bedeckt, wo nur noch einzelne, schon halb in die Erde gesunkene Steine stehen; dann wieder eine dichtere Reihe von Gräbern, versteckt unter Baum- und Buschwerk, zuletzt nur noch eines hier und dort – und nun auf einmal wieder die Stadt, aus der Ferne die Klingel der Pferdebahn und über meinem Haupte dahinfliegend eine Schar Raben...
Ein Grab aber hebt von allen Gräbern sich leuchtend ab – es ist von einem Gitter umschlossen, mit Efeu bewachsen, und auf dem Grabstein steht oben in hebräischer Schrift, unten in goldenen deutschen Lettern:
Moses Mendelssohn,
geb. zu Dessau den 6. September 1729,
gest. zu Berlin den 4. Januar 1786.
Er ruht nicht weit von Rabbi Fraenkel, seinem ersten, geliebten Lehrer, dem er aus der Heimat hierher nachBerlin gefolgt ist, nicht weit von Bernhard, der sein großmütiger Brotherr gewesen, und nicht weit von jenem merkwürdigen Abraham Rechenmeister, welchen Lessing als Derwisch im »Nathan« verewigt hat.
. . . . .
Noch einer hat in dem erinnerungsreichen Hause Spandauer Straße Nr. 68 gewohnt, nach Lessing und vor Mendelssohn, ein mittlerer Mann in dieser Beziehung wie in so mancher andern: Friedrich Nicolai. Wir wissen, daß er mit Lessing im Februar 1755 und durch Lessing, nicht lange danach, mit Mendelssohn bekannt wurde: »Die innigste Freundschaft verband mich bald mit beiden, und sie hat bis zum Tode dieser großen Männer
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