Bilder Aus Dem Berliner Leben
1887, dem Tag, an welchem das Komitee für Errichtung eines Lessing-Denkmals in Berlin seine Entscheidung getroffen.) Es würde dies nach meiner Ansicht sehr schön, sehr passend und ein Akt später Gerechtigkeit sein; obwohl es dessen nicht einmal bedürfte, damit auf diesem Boden von Berlin der Anblick Lessings auch den vergegenwärtige, der niemals ein Denkmal haben wird, außer dem im Herzen seiner Glaubensgenossen. Für sie jedoch hat auch der Name Lessings eine tiefere, viel mehr noch als bloß literarische Bedeutung. Die Juden, und namentlich die der strengeren Observanz, blicken von allen deutschen Schriftstellern auf ihn mit einem Gefühle der Dankbarkeit, welches sich nur zu wohl erklärt. In den Studierstuben ihrer Rabbinen und Schriftgelehrten sieht man neben dem Bilde Mendelssohns das Bild Lessings; und wenn ein frommer Jude das Theater besucht, so wird es gewiß eines von Lessings Dramen sein, das er sichauswählt. So ist es heute, so war es schon vor hundert und mehr Jahren, wo ein gewisser stud. theol. Joh. Gottfr. Kirsch aus Leipzig (d. d. 19. November 1767) an Lessing schreibt, daß er in die erste Vorstellung der »Minna von Barnhelm« geraten, ohne zu wissen, was aufgeführt werde. »Gleich bei meiner Ankunft im Parterre aber«, schreibt er, »finde ich eine Bank voll Juden. Ha! dachte ich, ohnfehlbar wird heut ein Stück von Herrn Lessing gemacht.«
Die Kunde daher, daß Lessing ein Denkmal in Berlin gesetzt werden solle, ging wie ein Lauffeuer durch die gesamte jüdische Welt und bewegte sie bis tief in den Orient hinein. Reichlich strömten gerade von dieser Seite die Beiträge herbei; sie kamen aus Rußland und der Türkei, sie kamen sogar aus Asien. Sie alle kannten Lessing und schätzten ihn hoch als den Freund Moses Mendelssohns und den Dichter des »Nathan«.
An Mendelssohn selber aber erinnert in Berlin kein sichtbares Zeichen mehr als sein Haus und sein Grab.
Unter dem grauen Novemberhimmel stehe ich vor einem beträchtlichen Gebäude der Großen Hamburger Straße, dessen Glocke ich nicht ohne ein gewisses Zagen berühre. Das Haus ist die Jüdische Alter-Versorgungsanstalt, das daneben die Jüdische Knabenschule, und beide zusammen begrenzen den ältesten, nunmehr schon lange geschlossenen Jüdischen Friedhof, welcher ein weites, offenes Terrain zwischen den benachbarten Quartieren der Großen Hamburger und Rosenthaler Straße bildet und gegen Norden an den gleichfalls längst geschlossenen alten Sophienkirchhof stößt – dort sind von literarischen Zeitgenossen Ramler und die Karschin, hier ist Moses Mendelssohn bestattet worden.
Zögernd nur, wie ich sie gezogen, meldet die Glocke mich im Innern an; undeutlich durch das Wagengerassel, das in diesen Straßen nicht aufzuhören scheint, vernehmeich nahende Schritte, die Tür wird mir von einer freundlichen Dame geöffnet, und noch bevor ich den Friedhof betrete, mache ich die Bekanntschaft ihres Oheims, des Herrn Friedhofsinspektors Landshuth. Der Herr Inspektor ist ein Mann von neunundsechzig Jahren und das Bild eines anspruchslosen jüdischen Gelehrten. Die Fenster seines Studierzimmers gehen nach dem Friedhof; die eine Wand ist ganz mit Büchern und Schriften bedeckt, an der anderen hängen zahlreiche größere und kleinere Porträts jüdischer Berühmtheiten, den Ehrenplatz in der Mitte nebeneinander haben Lessing und Mendelssohn. Namentlich mit dem letzteren hat der Herr Inspektor sich viel beschäftigt; er ist noch einer von denen, die fest an den Mendelssohnschen Ideen hängen, und er zeigte mir einen Kasten, der voll von teilweise noch ungedrucktem Material zur Geschichte Mendelssohns ist. Hier, mitten in Berlin, in einer seiner bevölkertsten Gegenden, lebt dieser Mann, wie weit von ihm geschieden, ein Leben der Vergangenheit. Er lebt mit seinen Toten, und seine Toten leben mit ihm; er lebt mit ihnen wie in einer großen Familie, ist vertraut mit jedem Grabstein, hat viele von den ältesten überhaupt erst wieder aufgerichtet, deren Inschriften entziffert, manche ganz neu wiederhergestellt und hält sie alle in musterhafter Ordnung. Er kennt genau die Geschichte jedes einzelnen dieser unzähligen Toten, von denen nichts mehr ist als ein eingesunkener Hügel und ein Name, die vielfachen Familienverzweigungen bis auf den heutigen Tag, ihre ehemaligen Wohnstätten und deren Veränderungen im Laufe der Zeit. Auf diesem Friedhofe ruhen die Väter der jetzigen jüdischen Gemeinde von Berlin, sie, die vor zweihundert Jahren aus
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