Bilder Aus Dem Berliner Leben
fortgedauert.« Wer solcher Freundschaft für wert gehalten worden, muß ihrer wohl auch wert gewesen sein. Ich habe niemals leiden können, wenn man ihn geringschätzig behandelt hat, wie das zu seinen Lebzeiten und nachher der Fall gewesen ist. In meinen Augen hat Nicolai das große Verdienst, ein Berliner zu sein. Alle anderen, Lessing und Mendelssohn, Sulzer und Ramler, waren Fremde, die mehr oder weniger zu Berlinern geworden sind. Er aber war der richtige, der geborene Berliner, und mit ihm trat diese Spezies zum erstenmal in die deutsche Literatur ein. Ich will nicht sagen, daß es dieser Spezies auf dem literarischen Gebiete besser erging als auf dem der gemeinen Wirklichkeit zumal: Man mochte den Berliner nicht, und ein wenig hat er es wohl verschuldet durch seine Manier, über alles sein Urteil zu sprechen, auch über das, was er nicht versteht, und nichts für gut zu befinden, was nicht irgendwie die Marke von Berlin trägt. Im Grunde genommen ist dies eine Tugend; denn wer anders, wenn nicht der Berliner, hätte diese Sandscholle lieben und loben sollen? Wer anders aber auch hätte das aus ihr gemacht, was sie nun wirklich, von aller Welt anerkannt, geworden ist? Das istes eben, daß die Fehler des Berliners obenauf liegen; um seine guten Eigenschaften kennenzulernen, muß man sich schon die Mühe geben, etwas tiefer zu gehen. Der Berliner, das hat er gezeigt, ist kein Mann, um die sogenannten moralischen Eroberungen zu machen; er muß mit der Faust dreinschlagen, und dann erst, wenn er hat, was er will und was ihm zukommt, wird er liebenswürdig. Er war ein großer Räsoneur, dieser Nicolai, der mit Gott und der Welt anband, er ließ sich nicht imponieren und nicht einschüchtern. Aber der Freund, den er sich erkoren, und die Sache, der er sich gewidmet, die konnten auf ihn rechnen. Er war ein Mann von gewaltiger Arbeitskraft, ein braver, rechtschaffener Charakter und ein trefflicher Bürger. Heute noch, auch wenn er sonst weiter nichts getan und geleistet hätte, würde das Andenken dieses guten Mannes unter uns fortleben wie das so manchen andern Berliners, durch eine milde Stiftung, die sogenannte Nicolaische Stiftung, mit einem Fonds von 9 000 Mark, aus welchem unter gewissen Bedingungen an würdige und verarmte Bürger von Berlin Darlehen gegeben werden. Man tut ihm unrecht, wenn man, sowie sein Name genannt wird, gleich oder nur an die komische Figur in der Walpurgisnacht des »Faust«, an die Xenien und Invektiven, an die göttliche Grobheit Goethes, die er durch seine »Freuden des jungen Werthers« reichlich verdient hat, oder an das boshafte Wort Schillers denkt, das er nicht verdient hat: daß er nämlich zur Aufklärung der Deutschen »mit Lessing und Moses« mitgewirkt, indem er ihnen »die Lichter geschneuzt«.
Es ist ein eigen Ding um den Enthusiasmus der Berliner. Wenn in seinen späteren Jahren Friedrich der Große durch die Straßen seiner Hauptstadt ritt, dann blieben die Leute nicht stehn, um ihm Bücklinge zu machen. Aber die Straßenjungen liefen hinter und vor seinemGrauschimmel her, standen kopf oder schlugen Purzelbäume, und Mützen und Hüte flogen in die Luft unter dem Rufe: »De olle Fritz, de olle Fritz!« Und der Alte Fritz wird gedacht haben: »So sind meine Berliner« und zufrieden gewesen sein.
Nicht als ob Nicolai der Blick für das Große gefehlt habe. Lessing verstand er, Goethe verstand er nicht. Er hatte kein Verständnis für das reine Schönheitsideal, für das Kunstwerk als solches, welches sich selbst Zweck ist. Es mußte noch irgendeinen Zweck außerdem haben, die Leute aufklären, Vorurteile bekämpfen und so weiter. Darum war Lessing sein Mann. Wie dieser besaß auch Nicolai keinen Sinn für die Natur. »Mehr als hundert Male bin ich mit ihm«, erzählt Goeckingk, »in seinem schönen Garten in der Blumenstraße spazierengegangen, ohne daß er auf die Gewächse und Blumen nur einen Blick warf. Für sich allein hat er vielleicht niemals einen Gang darin gemacht. Er zog es vor, in seinem Zimmer zu lesen und zu schreiben.«
Wenn er schrieb, so schrieb er immer mit einer Tendenz. Er predigte gute Moral und eine vernünftige Gottesfurcht in dem Roman »Sebaldus Nothanker«; er wollte auf rationelle Weise belehren in seiner »Beschreibung einer Reise durch Deutschland und die Schweiz«. Seine Bücher wurden ihrer Zeit gern gelesen und haben vielen Nutzen gestiftet in jenen Tagen der überhandnehmenden Sentimentalität und Frömmelei. Seine »Beschreibung der
Weitere Kostenlose Bücher