Bilder Aus Dem Berliner Leben
Jahre später stand in Mendelssohns Kontor Klopstocks »Messias« neben dem Neuen Testament in Luthers Übersetzung.
Schon die zweite Generation jener Berliner Juden des 18. Jahrhunderts beginnt die freien Höhen hinanzuklimmen, auf denen das, was der Mensch glaubt oder nicht glaubt, keine Scheidewand mehr ist; das Vorurteil auf der einen und der anderen Seite scheint in den niederenSchichten zurückzubleiben. Die feineren und bevorzugteren Naturen unter ihnen wissen sich bald eine Stellung in der Berliner Welt zu verschaffen, und ein nicht unwesentlicher Einfluß auf die Entwicklung derselben in den siebenziger und achtziger Jahren des vorigen Jahrhunderts geht von jüdischen Häusern aus. Zu den besten und geachtetsten unter denselben gehörte das von Daniel Itzig, der lange Vorsteher der jüdischen Gemeinde von Berlin war und seit 1765 ein schönes, vom Baron Verzenobre (1734) nach dem Modell des Hotel de Soubise in Paris erbautes Palais an der Burgstraßenecke besaß, auch dieses mit den kostbarsten Gemälden geschmückt. Sein Sohn Isaak Daniel, nachmals Ober-Hofbauquartier- und Chausseebau-Inspektor, war unter den Zuhörern der »Morgenstunden« bei Mendelssohn, und von seinen zahlreichen, durch Schönheit und Talent namentlich für die Musik ausgezeichneten Töchtern heiratete eine den vortrefflichen, philosophisch gebildeten David Friedländer, und zwei andere wurden die Baroninnen Eskeles und Arnstein in Wien. Es fehlte damals in Berlin durchaus an einem gesellschaftlichen Mittelpunkte; nicht einmal der Hof bildete im heutigen Sinne des Wortes einen solchen. Der erste, welcher, wenn auch unter höchst bescheidenen Verhältnissen, »ein Haus« machte, war Moses Mendelssohn: philosophische Symposien, bei welchen den Gästen die Rosinen und Mandeln zugezählt wurden. Wer die Memoiren der Henriette Herz kennt, der weiß, wie frugal es überhaupt in all diesen geselligen Zusammenkünften herging. Aber eine neue Erscheinung verlieh denselben ihren vornehmlichen Reiz: Es waren die schönen und geistreichen Jüdinnen von jenem eigenartigen, ganz spezifisch berlinischen Typus, der seitdem und mit ihnen ausgestorben zu sein scheint. Sie waren von einer umfassenden Bildung und aufrichtigen Teilnahme für die höchstengeistigen Interessen, fähig, ihnen zu folgen, und ernst, die würdigen Genossinnen bedeutender Männer – so die Tochter Mendelssohns, Dorothea, die Gemahlin Friedrich Schlegels und die Mutter Philipp Veits; so Rahel, die Gemahlin Varnhagens von Ense, so vor allem Henriette selber, die Gemahlin des trefflichen Hofrats Marcus Herz, eines der angesehensten Ärzte jener Zeit, der es sich aber zum höheren Ruhme schätzte, der Schüler Kants zu sein. Diese Frauen schufen in der damaligen Öde, welche dem Tode Friedrichs voranging und nachfolgte, jene Kreise, welche so wichtig geworden sind nicht nur für die Gesellschaft, sondern auch für die Literatur und das öffentliche Leben; Vereinigungen, in welchen die kühn aufstrebenden Männer und Jünglinge um die Wende des vorigen Jahrhunderts die Anregung suchten und fanden, die ihnen sonst überall in Berlin versagt geblieben wäre. Der junge Alexander von Humboldt datierte seine in hebräischen Lettern an Henriette Herz aus Tegel geschriebenen Briefe: »Schloß Langeweile«; und in einem Schreiben an dieselbe, in welchem er ihr einen jüdischen Freund empfiehlt, nennt Jean Paul Berlin »die hohe Schule seiner Glaubensgenossen«. Diese Kreise hegten und verbreiteten zuerst das, was man den Goethe-Kultus genannt hat; aus ihnen ging das Morgenrot der Romantik auf, und ihre späten Nachklänge konnten Börnes und Heines Anfänge noch erreichen. Die Macht dieser Frauen bestand in dem Zauber ihrer Persönlichkeit, stark genug, um alle Unterschiede des Ranges zu verwischen. Die jüngeren Elemente der höheren und höchsten Stände fühlten sich unwiderstehlich von ihnen angezogen. Mischehen, außer den bereits genannten, waren nicht selten in jenen Tagen. Marianne Meyer, Tochter eines jüdischen Kaufmanns, ward in morganatischer Ehe die Gemahlin des damaligen österreichischen Gesandten, des Fürsten Reuß, nach dessenTode der Kaiser sie zur Frau von Eybenberg machte; und ihre Schwester heiratete einen Herrn von Grotthuis. Welch eine Schar illustrer Namen, wenn wir nur an den Salon der Frau Henriette Herz denken, dieser schönsten, gütigsten und sympathischsten all jener Geistreichen, die, wie Scherer von ihr gesagt hat, »Klarheit und Reinheit um sich verbreitet«
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