Bilder Aus Dem Berliner Leben
Reynolds erinnert. Die beiden Porträts, welche Nicolai, das eine als Dreißig-, das andere als Fünfzigjährigen darstellen, haben ganz die charakteristische Bildung des Kopfes, die sich in dem Bilde des Greises unten im Kontor wiederholt: die zurücktretende Stirn und das vorspringende Kinn; man kann die Tatkraft, ja Hartnäckigkeit aus dem Gesichte dieses Mannes lesen, das im übrigen voll von Güte ist. Auch eine Kopie der Schadowschen, wenn ich nicht irre, für die Königliche Bibliothek angefertigten Büste befindet sich in diesem Zimmer. Zu jedem Bild an der Wand, jedem Buch auf dem Tische (darunter auch jener »Fünfundzwanzigjährige Ehe- und Hauskalender«) gab Frau Parthey mir den wünschenswerten Kommentar. Sie geleitete mich durch einen langen Gang, wo einst die Bibliothek Nicolais aufgestellt war und eine alte Uhr noch mit demselben Ticktack und Silberklang, den einst vor hundert Jahren Nicolai und die Seinen gehört, haben, die verrinnenden Stunden zählt. Aus dem Gang gelangt man in das Arbeitszimmer Nicolais, das noch ganz erhalten ist, wie er es verlassen hat, mit den Bänden und Büchern, den Mappen und Folianten, dem Schreibtisch, dem Spinett und einem Kasten, in welchem das Brautgewand seiner Gattin aufbewahrt wird. Bis hier herauf reichen die Baumwipfel des Gartens, und es ist ein gar liebliches Rauschen in dieser Einsamkeit, wenn der Sommerwind sie bewegt. Auf einer kleinen Treppe steigt oder klettert man zu den oberen Räumen, in welchen ich noch die ganze Bibliothek Nicolais beisammen sah, die seit kurzem (Februar 1886) von der HamburgerStadtbibliothek erworben worden ist und nun dort, in den hohen luftigen Sälen des Johanneums, einen würdigen Platz gefunden hat. Das Hamburg des vorigen Jahrhunderts hat sich um Lessing so verdient gemacht, daß ich, vor allen andern Städten, dieser unsern Nicolai gönne, wenn wir ihn denn einmal nicht behalten konnten. Mir aber wird es eine liebe Erinnerung sein, diese zahllosen Reihen von Büchern, alle in gelbes Papier gebunden, mit den Titeln auf dem Rücken von Nicolais eigner Hand und mit dem »Friderici Nicolai et amicorum« auf der Innenseite des Deckels, noch in den Dachkämmerchen von Nicolais Haus in der Brüderstraße Nr. 13 gesehen zu haben.
Nicht sehr weit davon entfernt, etwas mehr gegen Süden, ist die Alte Jakobstraße; bis Ende des siebenzehnten Jahrhunderts noch eine Landstraße, die von dem Rixdorfer Damm nach den Chausseen von Tempelhof und Schöneberg führte, spät erst bebaut, ist sie wesentlich eine Straße des achtzehnten Jahrhunderts, und zwar vom Ende desselben. Erst 1780 erhielt sie ihren heutigen Namen. Unter den Neubauten, die jetzt auch hier überall emporschießen und den Charakter dieser Straße bald genug verwischt haben werden, findet sich doch noch manch altes, niedriges Haus mit den Zieraten eines längst veränderten Geschmacks; und fast an ihrem östlichen Ende liegt die Luisenstadtkirche, gebaut im Jahre 1794. Es ist ein einfaches, schmuckloses Gotteshaus, klein und bescheiden, weiß getüncht, mit einem Glockenturm an der Vorderseite, der das schräge Dach nicht viel überragt. An das rings umgitterte Kirchlein stößt der alte Kirchhof, welcher aber seit dreißig und mehr Jahren als solcher nicht mehr benutzt wird. Er ist jetzt ein Spielplatz für die Kinder und eine Art von Familienpark für alle Angehörigen dieser Parochie, mit alten schattigen Bäumen und Rasenplätzen, mit Ruhebänken undsauber gehaltenen Kieswegen, widerhallend, wenn man gegen Abend kommt, von fröhlichem Getümmel, in welches zuweilen von der Kirche her die Orgel schallt. Am Pförtchen, durch welches man hereintritt, steht ein Gemeindediener, welcher auch Fremde gern hereinläßt, wenn sie es wünschen. Jedes Gemeindemitglied aber hat, wie seinen eigenen Schlüssel, auch seinen eigenen Tisch, Bank oder Stühle auf diesem ehemaligen Gottesacker; und ein jedes dieser Möbel ist in Abwesenheit des Besitzers entweder an den dahinter stehenden Baum festgebunden oder zierlich angekettet und mit einem Schloß versehen. Auch kleine verschlossene Kommoden finden sich in diesen sommerlichen Familiensitzen; und manche sind mit einem Staket eingefaßt oder von einer Laube überdacht. Nur noch selten sieht man hier oder dort eine vereinzelte efeubedeckte Grabstätte oder eine Graburne oder ein rostig gewordenes schwarzes Kreuz, dessen Inschrift schwer zu entziffern ist. Hier nun kann man an schönen Sommerabenden die Familienväter, ehrbare
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