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Bilder Aus Dem Berliner Leben

Titel: Bilder Aus Dem Berliner Leben Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Julius Rodenberg
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für alles, was Zeitungen und Zeitschriften heißt, von meinem Vater geerbt habe, der auch kein Blatt liegen sehen konnte, ohne darnach zu greifen. Später, in London, ward ich nicht müde, die »Reviews« und »Magazines« zu studieren, und ich kehrte nach Deutschland zurück mit dem lebhaften Wunsch, etwas Ähnliches zu schaffen. Ich unternahm es, und es mißlang. Diese Schul- und Lehrjahre des »Bazar« aber förderten mich auf meiner Bahn. Was bisher eine nebelhafte Vorstellung gewesen, ward jetzt zur greifbaren und nicht selten harten Wirklichkeit für mich; ich lernte vor allem mich bescheiden, lernte um des Zweckes willen meine Person unterordnen, lernte Neigungen unterdrücken und Abneigungen überwinden, lernte Rücksichten nehmen und Empfindlichkeiten schonen, um etwas erreichen zu können, was über diesen beiden stand, und übte mich in der schweren Kunst, zwischen den Ansprüchen der Mitarbeiter und denen der Leser zu vermitteln, um sie zusammen nach dem beabsichtigten Ziele hinzuleiten. Es war kein besonders hohes Ziel für diesmal, aber es war doch eins – eine Zwischenstation, der ich mit dem Gefühle der Befreiung den Rücken kehrte, ohne darum zu vergessen, was ich ihr schuldete.
    Diese persönlichen Erinnerungen sind es nicht allein, ja sie sind es nicht einmal hauptsächlich, welche das Haus Nr. 23 Unter den Linden mir denkwürdig machten, solange es stand, und nun, wo die Passage, Castans Panoptikon, Läden und ein beständig hin- und herflutender Menschenstrom an seiner Stelle sind, mir das Verschwundene, längst Hingegangene wieder zurückrufen. Oft, an stillen Abenden, wenn es mir über einem Manuskriptespät geworden, wenn die Redaktion leer und ich allein war, in diesen schwach erhellten, langen und niedrigen Zimmern mit den zahllosen Fenstern und Türen, dann begann es in der Einsamkeit lebendig zu werden – die Türen bewegten sich, vor den Fenstern, von denen aus ich die Linden dreimal grün werden und dreimal ihr Laub verlieren sah, drängten sich die Menschen, um gleichfalls hinauszuschauen; Stimmen riefen, mit einem eigentümlich zitternden, schwachen Ton; kleine Glocken schellten, und Gläser klangen mit einem Kichern dazwischen, wie in seiner Fröhlichkeit erstickt – Schleppen rauschten durch den Gang, und Roben von schwerer Seide knisterten auf den Treppen – waren es die mit allerlei Stoff bekleideten Modellpuppen der Hinterzimmer, welche verhext hier plötzlich umherwandelten und mir einen Besuch abstatten wollten in der Redaktion des »Bazar«? Die Gemächer füllten sich, immer größer wurde die Menge der bunten Gruppen, alle in den schönen Trachten des vorigen Jahrhunderts; es waren Kavaliere darunter im Hofkostüm und Fürsten mit dem Stern auf der Brust, ein Maskenzug, wie ich noch niemals einen gesehen, endlos, an mir vorübergehend, immer mehr und immer neue, Männer mit einem verschmitzten Lächeln um die Lippen, Frauen mit einer süßen Melancholie des Blickes, stolze Figuren im Hermelin und im Purpur, in Atlas und Brokat, mit Gold und mit Tressen, mit Puder und Schminke, mit Zopf und hoher Frisur – und nun auf einmal mitten in diesem Gedränge, welches Eile zu haben schien, zwei Gestalten, welche zögern, stillstehen, zurückbleiben, während alle anderen wie die Schatten dahinschweben, untersinken, in nichts zerfließen – zwei Gestalten, der Ewigkeit angehörend und trotzdem uns gegenwärtig, als ob sie noch unter uns wären –, ein Jüngling der eine, schön wie der junge Morgen, heiter, sieghaft, übersprudelnd in derFülle seiner Kraft; ein Mann der andre, weit noch von der natürlichen Grenze des Lebens und doch schon gebeugt, hochgewachsen, hager, mit einem feinen, blassen, durchgeistigten Gesicht und einem Paar wehmutumflorter Augen, in welche zu blicken das Herz zu Tränen bewegt – der eine am Anfang einer langen, sonnigen, glorreichen Zukunft, der andere am Ende eines allzukurzen Erdenwallens und beide von jenen, die nur sterben, um unsterblich zu sein: Goethe in seinem dreißigsten Lebensjahr und Schiller ein Jahr vor seinem Tode.
    Nein, dies ist keine Phantasie; verschwunden sind all die ungezählten andren, die mit ihnen gekommen, diese beiden aber sind geblieben, und dies hier, dies Haus Nr. 23 Unter den Linden, war der alte berühmte Gasthof »Zur Sonne«, den meine Leser nun schon kennen. Er traf am 15. Mai 1778 hier ein, der junge Goethe, in Begleitung seines Herzogs, und teilte acht Tage, bis zum 23. Mai, zwischen Berlin und Potsdam, wo

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