Bilder Aus Dem Berliner Leben
er auch den großen König sah, ohne jedoch ihm näherzukommen. Es war das erste Mal und das einzige, daß Goethe Berlin sah. Er sah es mit den »großen, hellen Augen, in denen der ganze Goethe strahlte«, wie die Tochter der Karschin (nachmals Frau von Klecke) an Gleim schrieb. Es war der Goethe, der den »Götz von Berlichingen« und den Werther geschrieben und auch in Berlin Tausende von Herzen hingerissen und gewonnen hatte. Er bewunderte »die Pracht der Königstadt und Leben und Ordnung und Überfluß, das nicht wäre ohne die tausend und tausend Menschen, bereit, für sie geopfert zu werden«. Er hat niemals in seinen jungen Jahren Gefallen an Berlin gefunden; ja, er war gegen dasselbe mit einem mächtigen Vorurteil erfüllt. Noch aus Leipzig schreibt er (Oktober 1766) über einen Jugendfreund an seine Schwester: »Er wird in Berlin schon zugestutzt werden, und ich befürchte, vielleicht nur zu sehr, denn ich glaube, esist jetzo in ganz Europa kein so gottloser Ort als die Residenz des Königs in Preußen.« Berlin, nachmals die Wiege seines Weltruhms, war jetzt der Sitz seiner Gegner. Friedrich selbst mit seiner erlauchten Hand schrieb gegen den Dichter des »Götz«. Ramler und Nicolai waren seine Freunde nicht, und Mendelssohn, wiewohl er ihn schätzte, besuchte Goethe nicht, wahrscheinlich wegen der nahen Beziehungen desselben zu diesen beiden. Dagegen war er zweimal in der Malerwerkstatt Chodowieckis; vor allen Künstlern, die das Zeitalter Friedrichs verherrlichten, verehrte Goethe »über die Maßen« diesen, der das alltägliche Leben so reizend nachzubilden verstand. Der Weg war kurz von der »Sonne« zu ihm und ganz in der Nachbarschaft: nur noch ein Stückchen Linden hinauf und dann durch die Charlottenstraße, rechts. Hier, »im oberen Teil der Behrenstraße, nicht weit vom Opernhausplatz«, wohnte Chodowiecki, wie es in der gleichzeitigen Ausgabe von Nicolais Berlin, in dem Verzeichnis »Jetztlebender Künstler, Maler« etc. heißt (Seite 1014). Das Haus, welches heut an dieser Stelle der Behrenstraße steht und die Nr. 31 trägt, ist, dem palaisartigen Gebäude der Diskontogesellschaft gegenüber, gleichfalls einer von unsren modernen Bankierpalästen aus dem Anfang der siebziger Jahre, und eine sehr traurige Geschichte von stolzen Hoffnungen, in früher Morgenstunde jäh zertrümmert, verknüpft sich mit seinen ersten Tagen. Friedlicher, freundlicher als jetzt, wo die Behrenstraße bis über den Opernhausplatz hinaus fast ganz die Straße der großen Banken und Bankiers geworden, sah es hier aus im vorigen Jahrhundert, als stille, kleine Häuser hier waren mit stillen, kleinen Gärten. Ein solches Haus mit einem Gärtchen dahinter, in welchem »zwei schöne Birnbäume« standen, war auch das Chodowieckis. In demselben hatte der Meister, kurz vor Goethes Ankunft, sich jenes behagliche Heim geschaffen(1777), dessen Ausstattung und Einrichtung wir in seinem »Cabinet du Peintre« und neuerdings in dem Hintergrunde zu Paul Meyerheims wundervollem lebensgroßen, für Chodowieckis Vaterstadt Danzig gemalten Porträt wiedererkennen. So wie Meyerheim ihn darstellt, mag Goethe den jovialen Fünfziger bei der Arbeit gesehen haben, im großgeblümten Schlafrock, über dem mit Malergerät bedeckten Tisch, den Grabstichel in der Hand; und so, nach dem ersten Besuch vom 16., kam er, vier Tage später, ein zweites Mal hierher, diesmal begleitet von seinem Herzog, wie es im Tagebuche heißt: »20. zu Chodowiecki mit.« Eine Gedenktafel schmückt jetzt das Haus mit folgender Inschrift: »Hier wohnte Daniel Chodowiecki von 1777 bis zu seinem Tode am 7. Februar 1801. Seinem Andenken die Stadt Berlin, 1885« – und ich muß sagen, daß es mir weniger schmerzlich ist, diesem Hause vorüberzugehen, seitdem aufs neue die Namen Chodowieckis und Goethes darüber schweben. Auch die Karschin hat er besucht in einem Häuschen, das, von Linden beschattet, nahe am Hackeschen Markt in einer geräumigen Vorstadt am Tore lag, dem heutigen dicht bevölkerten Spandauer Revier; Dankbarkeit und Herzensgüte hatten ihn dahin geführt, zu der vom Glücke gerade nicht verwöhnten Frau, »geb. Dürrbachin«, welche ihm, nachdem sie ihn in seinem Wirtshause verfehlt, ein Gedicht gesandt mit langen und kurzen Zeilen, großen und kleinen Anfangsbuchstaben, ohne Orthographie und Interpunktion: »am göthe zu Berlin Monttags den 18. May 1778«. Für ihn, den Götterliebling, gab es damals keinen Zwang; er gehorchte dem Impuls seines
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