Bilder bluten nicht
Ferngespräch an. Ich möchte sie mündlich beruhigen. Und im Telegramm müssen Sie ihr zu verstehen geben, daß sie sich nicht unnötigerweise hierher bemüht. Wir können sie im Augenblick hier in Paris nicht brauchen.“ Hélène runzelte die Stirn.
„Moment ’mal! Er ist doch nicht tot?“
„Aber nein. Wo denken Sie hin? Kochen Sie uns einen Liter Kaffee, bitte. Ich zieh mich in der Zwischenzeit an.“
Sie verschwand in der winzigen Küche. Kurz darauf kam sie zurück, in der Hand ein Tablett mit zwei Tassen voll dampfender schwarzer Flüssigkeit. Sie trank ein paar Schluck Kaffee und folgte weiter ihren Gedanken:
„Ich kann mir nicht vorstellen, daß Sie irgendjemanden töten“, sagte sie, „aber Sie werden zugeben müssen, daß Sie sich häufig in der Nähe von Leichen bewegen. Das ist höchst sonderbar.“
„Sie sollten sich einen Schnurrbart wachsen lassen“, sagte ich und stellte meine Tasse ab. „Sie sprechen schon genauso wie Faroux. Wären ihm vollkommen ähnlich... Er hat mir erst heute nacht solchen Quatsch erzählt.“
„Das hab ich mir gedacht. Was ist das für ein Toter, Chef? Lag er extra für Sie da?“
„Welcher Tote?“
Sie zuckte mit den Achseln.
„Man hat in den Hallen einen Ermordeten gefunden. Wußten Sie das nicht?“
„Doch.“
„Sehen Sie! Er hieß... Ich hab den Namen vergessen...“
„Larpent. Etienne Larpent. Sehen Sie’s jetzt ein? Ich weiß alles... auch mit einem dicken Kopf.“
„Anscheinend ist er der Dieb des berühmten Bildes von Raffael aus dem Louvre.“
„Ach! Das wußte ich nicht. Schreiben die Zeitungen darüber?“
„Nein. Das ist sicher zu spät in der Nacht passiert, um in den Morgenausgaben zu stehen. Ich hab’s in den Nachrichten gehört.“
Ich ging zum Radio und schaltete es ein. Die Stimme von Catherine Sauvage sang „L’Ile Saint-Louis“.
Ich drehte das Radio leiser.
„Was sagt man sonst noch?“
„Ich hab nicht weiter achtgegeben, aber ich glaube, das war alles.“
„Warten wir’s ab. Marc Covet wird sich bestimmt in der Mittagsausgabe des Crépuscule darüber auslassen... Geben Sie bitte sofort das Telegramm an Madame Lheureux auf, ja?“
Sie ging ins Büro.
Ich folgte ihr, um die Post durchzusehen. In dem Stapel war ein Brief von Roger Zavatter, einem meiner Angestellten, der zur Zeit im Einsatz war. Er schrieb:
Ich schreibe Ihnen auf dem Briefpapier des Kunden (bemerken Sie den Schaum, den er schlägt?)...
Es war in der Tat ein luxuriöses Briefpapier. Als Wasserzeichen die Silhouette einer Jacht, gekrönt mit den Initialen P.C.. An der oberen linken Seite des Blattes wieder dasselbe Schiff im Druck, eingerahmt vom Namen in scharlachroten Buchstaben: „Die Rote Blume von Tahiti“...
... um Ihnen mitzuteilen, daß es nichts mitzuteilen gibt, außer vielleicht, daß der Kerl bescheuert ist. Aber nichts Ernstes. Jedenfalls keine Feinde am Horizont, weder backbord noch steuerbord, und ich würde gerne bis ans Ende meiner Tage die Leibwache dieses Knaben bleiben. Wir werden am 13. oder 14. in Paris sein...
Ich sah auf den Kalender. Heute war der 13.
... Wir werden am Port de Plaisance festmachen. Also mitten in Paris. Ich werde Sie von unserer Ankunft in Kenntnis setzen. Kuß für Hélène. Für sie auch.
Roger
„Roger verfaßt merkwürdige Berichte“, sagte ich.
„Was Neues?“ fragte Hélène.
„Nichts, oder fast nichts. Sie kommen heute oder morgen an. Und einen Kuß von Zavatter. Das ist alles.“
Sie seufzte gespielt:
„Hier braucht man keine Seife. Einer leckt einem immer das Gesicht ab. Gibt es nichts anderes zu tun bei diesem Monsieur Corbigny?“
„Leibwächter, das füllt einen nicht aus.“
Ich steckte den Brief in eine Schublade und stopfte mir meine Pfeife.
„Leibwächter! Wovor fürchtet sich dieser Klient?“
„Zavatter ist es bisher noch nicht gelungen, es herauszufinden. Und als wir mit Corbigny korrespondierten, haben wir ihn nicht um Erklärungen gebeten, die er nicht von sich aus gab. Erinnern Sie sich? Die beiliegende Auftragserteilung genügte uns. Wollen Sie meine Meinung hören? Dieser reiche alte Kauz - Zavatter nennt ihn bescheuert, aber Zavatter ist ein wenig radikal in seinen Urteilen -, dieser Kauz ist Besitzer einiger Schlösser in der Gegend von Rouen, reist meistens zu Wasser und langweilt sich dabei, wie viele dieser Geldsäcke. Anstatt also einen Gesellschafter oder einen Troubadour zu engagieren, erfindet er für sich eingebildete
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