Bilder bluten nicht
begleitet. Manchmal spiel’ ich eben Kindermädchen. Scheint so, daß er wieder hier in der Gegend ist, aber ich kann ihn nicht auftreiben. Weißt du, wen ich meine?“
Sie zerbrach sich nicht lange den Kopf.
„Ja, ja, ich weiß... Ein Kerl, der immer so aussieht, als verarscht er alle Leute?“
„Ganz genau.“
„Und ob ich mich an ihn erinnere!“
„Warum?“
„Er ist nett und großzügig. Von seiner Sorte müßte es mehr geben. Auch wenn der merkwürdige Typ, wie du ihn nennst, wie ein Schaumschläger aussieht.“
„War er heute abend bei dir?“
„Nein“, seufzte sie. „Weder heute abend noch die letzten Tage.“
„Na ja, da kann man nichts machen, schade. Für ihn, für dich und für mich. Trotzdem vielen Dank, Gaby.“
„Nichts zu danken.“
So sehen die Augen eines geprügelten Hundes aus. Sie fragte sich, welchen Sinn dieses Verhör haben solle und ob sie deswegen schließlich nicht eins aufs Dach kriegen werde. Ziegel dafür mußte sie wohl sammeln, hatte davon wohl schon genug für ein normal großes Dach. Ein Dach, das ihr auf diesem Trottoir sehr nützlich gewesen wäre, wo die Kunden sie bestimmt weniger belästigten als die Flics und das schlechte Wetter...
Sie tat mir plötzlich sehr leid.
Das mußte an dieser verdammten Melancholie liegen, die an mir nagte, seit ich mich in diesem Viertel herumtrieb, wo niemals etwas passiert, das nur nachts lebt. Und wofür, verdammt noch mal? Alles für den Bauch von Paris. In einem Gestank von totem Fleisch und der Erde entrissenem Gemüse. Und am Tage ist es nicht viel besser. Geschäfte für die arbeitende Klasse oder für Hausangestellte. Erst zur Place du Palais-Royal hin riecht es weniger volkstümlich, aber die Nähe des Finanzministeriums macht alles wieder kaputt. Und an den Quais hocken die Vögel in Käfigen. Sie pfeifen. Sie rufen um Hilfe. Na und? Die Vögel in den Tuilerien sind nicht besser dran. Sie fliegen nicht fort, weg von den Tuilerien. Es ist ein etwas größerer Käfig, in einer wunderschönen Umgebung; das ist alles. Zur Ehrenrettung kacken die Tauben ungeniert auf die steinernen Männer, kaum geschützt in ihren Nischen in der Rue de Rivoli, oder auf die Touristen, die mit vor Bewunderung blödem Blick aus dem Louvre kommen. Trotz allem ist das doch ein elender Spaß. Und die bekannten Diebstähle aus den Sammlungen des Museums {Die Mona Lisa, vor dem Ersten Weltkrieg; Der Gleichgültige, vor dem Zweiten; und in diesen Tagen - vor dem Dritten? -, ein Porträt von Raffael) stellen vergebliche Zerstreuungen dar.
2
Der erste Tote
Schließlich trieb ich meinen Mann doch noch auf, und zwar in dem Augenblick, als ich gerade meine Suche aufgeben wollte. Es war zwei Uhr morgens. Er aß mutterseelenalleine Austern im Riche-Bourriche, in der Nähe der Fontaine des Innocents. Hinterer Saal, linke Ecke, fern vom lärmenden Verkehr, der draußen herrschte. Auch vor Blicken geschützt. Wäre ich nicht, mehr aus Routine als aus Gespür, in das Lokal gegangen, ich hätte ihn verpaßt.
Mit seinem korrekten dunklen, fast schwarzen Jackett und der gestreiften Hose eines Abteilungsleiters hätte man ihn für einen Abgeordneten halten können, der auf einen Ministersessel wartet. Vor allem, weil er so sorgenvoll aussah oder deshalb, weil er sich bemühte, eine außergewöhnliche Würde an den Tag zu legen. Im letzten Mai hatte ich, wie mir schien, diese Eigenart nicht bemerkt. Davon abgesehen war er immer noch derselbe. Ein sympathisch aussehender reifer Mann, nicht zu reif (in jedem Sinn des Wortes), mit ein wenig feisten Gesichtszügen, glattrasiert wie ein Hausdiener, mit leicht silbergrauem Haar. Gut erhalten.
Ich stellte mich vor seinen Tisch. Er sah auf und erkannte mich. Ein spöttischer Blick.
„Sieh an, sieh an, Nestor Burma!“
Noch höhnischer fügte er hinzu:
„Der Meisterdetektiv!“
Ich zuckte mit den Achseln:
„Nicht gerade das. Ihre Frau hat mir geschrieben.“
„Wie immer... Mit Verspätung, könnte man meinen?“
„Die Post wurde bestreikt.“
„Ach ja! Nun gut, setzen Sie sich, Burma. Wir sind jetzt schon alte Kollegen, hm? Ich glaube, wir treffen uns zum dritten Mal, nicht wahr?“
„Ganz richtig.“
Ich setzte mich, nachdem ich meinen Hut und meinen Mantel an einen Kleiderhaken gehängt hatte.
„Möchten Sie etwas?“ fragte er mich.
„Gern“, sagte ich. „Wir wollen die schönen Gewohnheiten nicht ablegen... wenigsten einige nicht, wenn Sie die Anspielung verstehen, mein lieber
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