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Bilder bluten nicht

Bilder bluten nicht

Titel: Bilder bluten nicht Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Léo Malet
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war bisher ergebnislos verlaufen. In London gab ein Kriminalschriftsteller, der barfuß auf der Straße tot aufgefunden worden war, Scotland Yard sein letztes Rätsel auf. In Marokko... Plötzlich sah ich auf die Uhr. Meine Uhr war stehengeblieben. Ich verrenkte mir den Hals, um auf die Uhr an der Wand des großen Saales zu sehen. Ich schmiß die Zeitung hin. Genauso hatte ich es mir gedacht. Lheureux war vor verdammt langer Zeit von unserem Tisch auf gestanden. Zu lange, als daß er jetzt noch zurückkommen würde. Verdammter Gauner! Er hatte sich auf französisch verabschiedet. Ganz schön frech, dieser Dorf-Casanova! Ich kitzelte mich, aber drüber lachen konnte ich trotzdem nicht.
    Ich rief den Kellner und verlangte die Rechnung.
    „Warten Sie nicht auf diesen Herrn?“ sagte er und zeigte mit seinem schlechtrasierten Kinn auf den leeren Stuhl.
    Ich knurrte:
    „Wollen Sie mich auch noch auf den Arm nehmen, hm?“
    Mit dem Trinkgeld, das ich ihm gab, konnte er wohl keine Schauspielerin glücklich machen.
     
    ***
     
    Um mein Glück vollkommen zu machen, nieselte es jetzt draußen. Ich schlängelte mich zwischen den stinkenden Gemüsehaufen hindurch, und wenn ich die Flügel hängenließ, dann nicht, weil mich die Kulisse bedrückte. Louis Lheureux hatte mich wie einen dummen Jungen reingelegt, es hatte keinen Zweck, es zu leugnen. Der Winter bekam ihm nicht. Im Frühling war er geselliger. Wenn ich es richtig verstand, wollte er mich im Winter lieber nicht in das Geheimnis seiner Eskapaden einweihen.
    Nach ein paar Schritten beruhigte ich mich, und ich interessierte mich für das Rumgerenne der Einzelhändler, die ihre Waren einkauften und dabei ein wenig handelten, was sie selbst in ihren Läden nicht duldeten. Plötzlich machte alles hastig Platz: die von schlechtgekleideten Burschen gezogenen Karren, die Elektrowagen, die unter schrillem Gebimmel im Zickzack durch die Menge fuhren, und die Passanten ließen einen Mannschaftswagen der Polizei durch, der sich rasend seinen Weg bahnte. Ein Dicker mit rotem Gesicht in einer gefütterten Lederjacke, der hinten auf einem von Orangen überquellenden Kistenberg thronte, rief einem seiner Kollegen zu:
    „O Gott! P’tit-Jules! Was soll denn das Affentheater? Eben ist schon ein kleiner Renault vom Präsidium durchgekommen. Doch wohl keine Razzia!“
    „Das ist die Lebensmittelüberwachung“, sagte ich.
    Der Kerl musterte mich von oben herab aus der Masse all der Steaks, die er während der Zeit der Essensrationierungen, vor allem an den fleischlosen Tagen, Verschlungen hatte.
    „Malen Sie den Teufel nicht an die Wand!“ sagte er.
    Und gleich darauf brach er in schallendes Gelächter aus. Allem Anschein nach hatte er seit jener Zeit gelernt, auf diese Lebensmittelüberwachung zu pfeifen.
    Ein schmächtiges Kerlchen im Ledermantel kam näher.
    „Es ist in der Rue Pierre-Lescot“, sagte er.
    „Was ist los?“ fragte der Rotgesichtige.
    „Weiß nicht. Es wimmelt von Flics.“
    Der Rote schob seine dicke Unterlippe vor.
    „Ich werd’ mal ’n Beaujolais trinken“, sagte er, so als wollte er sich abmelden.
    Ich rannte zur Rue Pierre-Lescot, in der es von Händlern nur so wimmelte. Zwischen einem Obsthändler und einem Bananenlagerhaus hatte sich ein Menschenauflauf gebildet, der von uniformierten Polizisten zurückgehalten wurde. Der Mannschaftswagen parkte etwas weiter weg, ebenso ein marineblaues Renault-Kabriolett. Ich trat näher.
    „Weitergehen“, sagten die Polizisten.
    Die anderen stellten sich taub. In der Tür des Hauses, die von allen möglichen Emailschildern eingerahmt war, standen zwei Herren, die wie Inspektoren aussahen, und besprachen den Fall. Ein dritter tauchte aus dem dunklen Hausflur auf und gesellte sich zu ihnen. Er trug einen beigen Regenmantel, einen schokoladenbraunen Hut, der ihm so schlecht wie irgend möglich paßte; graumelierter Schnurrbart. Es war mein Freund Florimond Faroux, Kommissar bei der Kripo. Ich rief ihn und winkte. Er antwortete und ließ mir zu Ehren die Polizeikette öffnen.
    „Was treiben Sie denn hier in der Gegend?“ fragte er, nachdem er mir die Hand gedrückt und mich mehr oder weniger seinen Leuten vorgestellt hatte.
    „Ganz groß ausgehen“, sagte ich.
    „Wirklich?“
    „So groß, daß man mich soeben hereingelegt hat. Kann man bei Ihnen Anzeige erstatten?“
    „Mir ist nicht zum Scherzen zumute...“
    Er gähnte:
    „...Ich war gerade eingenickt... Hatte Bereitschaft, war aber eingenickt, und... na

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