Bilder von A.
ich nicht verstand und die lustig und schon ein bißchen nach Englisch klangen. Und er schätzte den Dichter Fritz Reuter, von dem er seitenlang Texte aus Ut mine Festungstid und Ut mine Stromtid auswendig konnte.
Das Preußischblau paßte also am besten zu seiner Herkunft von diesem Land, wo nichts ist als Korn auf Sand oder Fichten auf Sand, die Dörfer elend, die Städte wie mit dem Besen auf ein Häufchen zusammengekehrt, wie Kleist in einem seiner Briefe schreibt. A. sitzt auf dem Bild mit verschränkten Armen und sieht den Betrachter so kritisch, spöttisch, erwartungsvoll, wenn nicht gar liebevoll an, wie er mich oft bei unseren vielen Gesprächen und auch den Besprechungen im Theater angesehen hat und wie ich ihn in Erinnerung behalten habe. Was ist denn Liebe anderes als Erwartung? Im Mundwinkel klemmt lässig eine glühende Zigarette, und im Hintergrund teilt sich der rotsamtene Vorhang, denn nicht »die Welt ist eine Bühne«, sondern die Bühne war unsere Welt. Damals. Im übrigen war A. Nichtraucher und hatte in seinem ganzen Leben noch nie eine Zigarette angefaßt, geschweige denn geraucht. Deshalb nannte ich das Bild Der Nichtraucher (ein Menschenschicksal) . Über den Titel lachte er, aber er war mit seinem Porträt nicht richtig zufrieden, so wie fast alle Porträtierten, die lieber ihr »besseres Ich« auf der Leinwand sehen möchten. Ich glaube, er war sogar ein bißchen wütend über den Nichtraucher mit der glühenden Zigarette im überdrüssigen Mundwinkel. A.s Mundwinkel konnten in einer einzigen Linie Ironie, Überdruß und Melancholie zugleich ausdrücken.
Das Bild hängt jetzt hier an einer Wand unserer Wohnung, Bilder leben ja lange. Ich sehe es selten an, wie es so ist mit den Dingen, die einen täglich umgeben und die dieGewohnheit unsichtbar macht. Aber manchmal entdecke ich es wieder und muß lachen über den »Nichtraucher«. Und möchte weinen.
Seine Liebe, meine Liebe.
Er sagte oft, bitte laß mich allein.
Er sagte, wir wollen uns gegenseitig gar nichts fragen und nichts aufbürden.
Er fragte, aber warum zitterst du immer.
Und warum hast du mich so angegrinst, als du mich zum ersten Mal gesehen hast. Was gab es denn da zu grinsen?
Streit gab es eigentlich nie zwischen uns, wir frühstückten ja auch nicht zusammen und hatten uns auch sonst in keinerlei Alltagsleben zu ertragen. In Berlin waren wir außer am Theater nie in irgendeiner Gesellschaft, hatten keine gemeinsamen Freunde oder einfach einen Kreis, sondern lebten nur zueinander oder voneinander fort, jedenfalls in der S f äre der Poesie, im Werk und Leben Kleists, in der Welt der Gemälde und Zeichnungen Caspar David Friedrichs, in der Musik Johann Sebastian Bachs. Ich erzählte A. manchmal von meinem Leben, von meinen Freunden, meinen Eltern und deren Freunden aus den Emigrantenkreisen. A. jedoch sagte wenig und selten etwas über sein Leben, obwohl das ja schon fünfzehn Jahre länger dauerte als meines. Manchmal sprach er vom Theater, wie er angefangen hatte, wie es weitergehen sollte, und natürlich immer von Politik, aber nie von seiner Familie, seiner Erziehung, davon, waser erlebt hatte. Ich wußte nur, daß sein Vater nicht aus dem Krieg zurückgekehrt war, aber nicht einmal, ob seine Mutter noch lebte und ob er sie vielleicht manchmal besuchte; ein einziges Mal bemerkte er, ich möchte einmal wenigstens ein Stück inszenieren, das auch meiner Mutter gefallen würde.
Ich sagte A., ich habe keine Angst davor, dir alles von mir zu zeigen, zu geben, zu schenken. Wenn man sich liebt, fürchtet man sich doch nicht voreinander. Ich vertraute ihm ohne Grenzen, und alles, was nicht Liebe sei, sei Beleidigung. Ich wolle nur immer wissen, daß er irgendwo auf der Welt da sei, und hätte nur die eine Angst, daß einer von uns sterben könnte.
Damals klang das ziemlich theatralisch.
Ich hatte eine Freundin, die sagte immer, sie glaube, es genüge, wenn man alles, was man im Leben tut, für einen, einen einzigen Menschen tut. Ihm also sein ganzes Leben widmet, hingibt, schenkt. Sie meinte damit ihren Mann, der, wenn nicht gerade betrunken, ein feinsinniger Künstler war, der wirklich schöne Werke in allen möglichen Gattungen schuf. Sie lebte also für ihn, nur für ihn. Eines Tages aber kam sie in die Irrenanstalt. Kurz vorher hatte sie ihre Wohnungsschlüssel in den Fahrstuhlschacht geworfen, statt damit die Wohnung aufzuschließen. Ein Schlosser mußte die Tür aufbrechen, denn drinnen schrien schon die kleinen
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