Bilder von A.
bedrückenden Gesellschaft, der im Falle Kleists schließlich in dem peinlich korrekten Obduktionsbefund der Leiche des Dichters gipfelte, dem auf Erden nicht zu helfen war . Ihn hatten diese Unvereinbarkeiten, vielleicht aus Schwäche, vielleicht aus Stärke, in den Tod getrieben.
Wir haben in unserem Obduktions-Bericht ad II gesagt, daß wir bei Denatum eine große harte Leber – eine große Gallenblase und viel verdickte schwarze Galle angetroffen haben, ferner ad III daß dessen Gehirn-Substanz fester als gewöhnlich befunden worden. Nach diesen Anzeigen finden wir uns veranlaßt, gestützt auf die physiologischen Principia, zu folgern, daß Denatus dem Temperamente nach ein Sanguino cholericus in Summogradu gewesen und gewiß harte hypochondrische An f älle oft habe dulden müssen …
Die Montage Dichter in Preußen annoncierten wir, nicht ohne Grund, als »Konzert«, denn ein befreundeter Komponist, der dem Theaterensemble zugehörte, verstärkte die Botschaft der Worte noch durch schlagende, klagende, schmerzende Dissonanzen von Flöte, Klarinette, Gitarre und Schlagzeug, so daß sie auch dem letzten Zuschauer klar werden mußte.
Doch das war noch nicht alles von unserem »Gesamtkunstwerk«, wir fügten auch noch ein ganz neues Kleist-Stück hinzu, nicht etwa ein spät aufgefundenes Fragment, nein, etwas ganz anderes, ein Kinder-Kleist-Stück. In der Gegend um das Theater las ich Kinder auf, die dort herumlungerten oder auf dem Theatervorplatz Rollschuh fuhren, und schlug ihnen vor, mit mir Theater zu spielen, ein Theaterstück zu erfinden über einen unglücklichen Dichter, der hier ganz in der Nähe gewohnt, sich aber schließlich noch jung, erfolglos und entmutigt, am Wannsee zusammen mit einer Freundin das Leben genommen hatte. Ich las den Kindern Kleist-Briefe vor, bei denen sie manchmal lachten und manchmal ganz still wurden, um dann anschließend selbst noch viele Geschichten von Unglück und Verzweiflungstaten, von denen sie gehört hatten, beizusteuern: »Ich weiß von einer, die hat sich am Alex vor die S-Bahn geschmissen, die hats wegen ihrem Mann gemacht«, »In der Hessischen Straße 6 war sone ganz alte Frau, die hat sich ihr Bein abgeschnitten«, »In der Albrechtstraße war ein Mann,der hat sich in der Küche eingeschlossen und Gas einströmen lassen.« Und dann kamen die Kinder schnell auf ihre eigene Verlassenheit zu sprechen, denn sie trieben sich nach der Schule eben bloß auf der Straße herum und wußten nicht, wie sie die Zeit herumkriegen sollten, bis die Eltern endlich von der Arbeit nach Hause kamen. So fanden sie die Idee gar nicht so schlecht, statt dessen ein Theaterstück zu erfinden, zu spielen und auszustatten. Ich heuerte noch einen Freund an, der mir half, die Schar der Schlüsselkinder zu bändigen, die Logistik gewährleistete und für genügend Brause und Kekse für die langen Nachmittage sorgte. Wir schneiderten Kostüme und schleppten Zeug vom Sperrmüll an, mit dem wir in dem prächtigen Spiegelfoyer des Theaters eine Dekoration aufbauten, die unseren Spielraum und zugleich Elemente von Kleists Lebensweg markieren sollte.
Eines der Mädchen hatte in einer Art Aufsatz die Lebensgeschichte Kleists beschrieben, so wie sie es sah, den druckten wir im Programmheft ab:
Die Geschichte von Henrek von Kleis
In Frankfurt wurde ein Junge geboren. Er stammte von einer reichen F amilie. Seine Brüder waren schon bei den Preußen. Er mußte auch zu den Preußen. Eines Tages lernte er zwei Freunde kennen, mit denen er eines Tages über die Mauer kletterte. Sie machten auch Musik und verdienten Geld zusammen. Sie wurden erwischt und kamen ins Ge f ängnis.
Danach interessierte er sich für die Schule, doch es wurde ihm zu schnell. Wenn der Lehrer mal was fragte, mußten die Schüler ganz schnell antworten, aber er überlegte lange. Er wollte nicht mehr in diesem Land bleiben, weil die Leute für ihn kein Herz hatten. Eines Tages fragte er seine Frau: »ich gehe nach Paris, kommst du mit?«
Die Frau ließ ihn allein f ahren! Die Leute in Paris hatten auch kein Herz für ihn. Die Leute ließen ihn im Stich. Also zog er nach Berlin. Er wollte den Schriftsteller Göte besiegen. Er schrieb viele Gedichte. Danach las er das den Politikern vor und er wurde eingeknastet. Nach wenigen Jahren wurde er wieder entlassen. Da ging er zu seiner F amilie zurück. Sie aßen gerade Abendbrot und keiner sagte ein Wort. Er fragte, »seid ihr sauer?« Die F amilie stieß ihn zurück.
Da
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