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Bilder von dir: Roman (German Edition)

Bilder von dir: Roman (German Edition)

Titel: Bilder von dir: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Kate Racculia
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habe Durst.« Eugene hustete. »Möchtest du was trinken?« In allergrößter Gefahr löste er seine Arme von Oneida. Jemand rempelte ihn von hinten an, und er lief los. Es war ihm egal, ob sie ihm folgte oder nicht, er musste raus aus dieser Masse sich hin- und herwiegender Idioten und diesem schrecklichen Song, diesem entsetzlichen, furchtbaren Klagegesang, der zu viel wusste und mit der Stimme seiner Schwester ganz schauderhafte Fragen stellte.
    Man hatte ein Büfett mit Punsch und Plastikbechern aufgebaut, und als es in sein Blickfeld rückte, stürzte er sich so verzweifelt darauf, dass er dabei jemandem seinen Ellbogen gegen den Hinterkopf rammte. Er merkte nicht, wen er angerempelt hatte, bis Oneida, die ihm dicht auf den Fersen folgte, sagte: »Andrew Lu« – als wäre sie geschockt, ihn zu sehen, als ginge er nicht auf dieselbe Schule wie sie, als könnten die kosmischen Kräfte, deren Hass sich auf Eugene Wendell richtete, unmöglich seinen Erzfeind zwischen ihn und die Erlösung im Punsch stellen, in direkte Ziellinie mit der Spitze seines Ellbogens. Eugene ging weiter. Man hatte der unbeliebten, drögen und jämmerlichen Schleimerin Lori Whitman den Job der Punschschöpferin gegeben, wie Eugene vermutete, einzig und allein aus dem Grund, weil man sie leicht dazu überreden konnte, einfach mal wegzusehen, wenn einer der Oberstufenschüler ein Viertel billigen Wodka in die Punschschüssel schüttete. Eugene kippte drei winzige Becher hintereinander weg, die ekelhaft schmeckten und noch nicht angereichert waren. Der Song wummerte weiter, sein Refrain ein sich ständig wiederholendes, monotones »Hey, Jude«, nur tausendmal gemeiner. Patricia konnte unmöglich wissen, wie passend diese Widmung war. Es gab keinen Ausweg. Verbuche es als prophetischen Moment. Sein Gehirn brannte, und ihm war nach Heulen zumute.
    Dann sah er Oneida und Andrew, die ein paar Schritte von der Menge entfernt standen. Miteinander redeten. Nur redeten. Sie lächelte ein wenig, er nicht. Worüber redeten sie? Andrew Lu rieb sich seinen Hinterkopf, und Oneida sagte etwas und zuckte mit den Schultern, dann lächelte Andrew Lu sie an, und die Musik wurde wieder laut, anders, ein neuer Song. Der Punsch wärmte Eugenes Magen, vielleicht war ja doch Alkohol drin, und er hatte ihn nur viel zu schnell getrunken, um ihn zu schmecken. Aber nein – nein, es war nicht der Punsch – o nein, nicht der Punsch –, es war Wut. Es war Zorn, und Eugene hatte diesen so lange nicht gespürt, dass er ganz vergessen hatte, auf die ersten Anzeichen zu achten. Ein heißer Stein. Greller Schmerz. Ein hilfloses, blindwütiges Ding, das sich in ihm aufbaute, bis es ihn erfasste, mit Haut und Haar von ihm Besitz ergriff – und jetzt war es wieder da, es war Selbstzerstörung, Selbstverstümmelung, und es passierte jetzt, hier und jetzt. Es gab keine mit Samt gefüllten Flaschen, die er hätte auf den Boden schmettern können. Es gab keine Projekte, keine im Entstehen begriffenen Kunstwerke, keine Ablenkungen – da waren nur Oneida, die unkontrollierbare Variable, und Andrew Lu, der ihn hasste, und genau so fing es an. Das war der Anfang von etwas Üblem, der Anfang seines Endes.
    Diese Ahnung von Verhängnis, diese Vorausahnungen von Zerstörung zielten auf diesen Augenblick – diesen Augenblick, wo er entscheiden konnte, ob er das Ende auf sich zukommen ließ oder ob er aktiver Teil der Apokalypse sein wollte. Und verdammt, er musste etwas tun. Die Wut feuerte ihn an. Sie trieb ihn durch den Raum und straffte seine Schultern. Er verpasste Andrew einen Faustschlag, der härter traf als alles, worauf er bisher eingeschlagen hatte. Aber der athletische Andrew wich aus, duckte sich und verpasste ihm einen Schlag, diesmal aufs linke Auge. Insane Armhole spielten jetzt etwas mit einem ruchlosen Disco-Beat, und Eugene, der sich gern zur Musik bewegte, holte einmal, zweimal, dreimal im Rhythmus aus. Ohne Treffer. Andrew zog ihm den Boden unter den Füßen weg. Der am Boden liegende Eugene trat Andrew mit beiden Füßen in den Magen und rollte sich dann von ihm weg. Er spürte große Hände, die ihn an beiden Schultern packten, spürte, wie er vom Boden hochgezogen und aus dem Weg geräumt wurde, durch die Türen des Turnsaals, durch den Flur, vorbei an den Umkleiden und dann gegen die Verriegelung der Tür gestoßen wurde, die zum Schülerparkplatz führte. Er stolperte die wenigen Stufen hinunter und drehte sich dabei herum, sodass er Harrison sah, den

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