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Bilder von dir: Roman (German Edition)

Bilder von dir: Roman (German Edition)

Titel: Bilder von dir: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Kate Racculia
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sie lieber gemocht als in diesem Moment, halb im Schatten, halb angestrahlt von der Flutlichtanlage der Schule, wie sie mit einer McDonald’s-Serviette ihr Gesicht abwischte, sehr real und sehr traurig. Und er könnte sie retten – es wäre gar nicht so schwer. Und dann stünde sie in seiner Schuld, und er würde sich sicherer fühlen, besser fühlen wegen alledessen, was sie wusste.
    »Ich fahre dich nach Hause«, sagte er und beugte sich über den Sitz. »Ich werde dich absetzen, und du musst mir versprechen, noch heute Abend entweder mit dieser gruseligen alten Schachtel oder deiner Mom zu sprechen. Und ruf mich morgen an und erzähl mir, was du herausgefunden hast.«
    »Okay.« Sie schob sich das Haar hinter die Ohren und setzte ihre Brille wieder auf. »Und du musst mir versprechen, Andrew Lu nicht mehr zu vermöbeln.«
    Eugene, der die Hand an der Gangschaltung hatte, grinste übers ganze Gesicht. »Du meinst wohl, dass ich mich nicht mehr von Andrew Lu vermöbeln lassen soll?«
    Sie lächelten einander an – lächelten sich wirklich an, mit den Augen, Zähnen und Nasen und ihren ganzen Gesichtern.
    »Weißt du, so ein blaues Auge hat auch was«, sagte sie. Und schob dann nach, während sie ihr Oberteil aufzippte: »Kannst du auch einhändig fahren?«
    Und so kam es, dass Eugene vom Ruby Falls-Halloween-Karneval nach Hause fuhr, eine Hand auf dem Lenkrad, die andere im Oberteil seiner Freundin, wo sie angenehm auf ihrem Busen ruhte, seine Freundin Oneida Jones – die skurril, unglücklich und vielleicht auch verschlossen war, aber dennoch ein Mädchen und eine Freundin, die ihn ihre Brüste anfassen ließ, und selbst mit seinen fünfzehn Jahren verfügte Eugene über genügend Grips, um zu wissen, dass es womöglich nicht viel besser werden konnte. Der Parkplatz vor der Milky Way Bar and Grill war voll, und gedämpfte Countrymusik schallte im Vorbeifahren durch die stille Luft. Das Ende der Welt war nicht gekommen, und Eugene fühlte sich gut. Die Heizung dröhnte. Das Auto brummte.
    Das Einzige, was er an diesem Abend bedauerte, als er durch die Nebenstraßen von Ruby Falls fuhr, war, dass er nicht dabei gewesen war, als seine Schwester von Blut übergossen wurde, und er ihren Banshee-Schrei nicht gehört hatte; dass es ihm nicht möglich gewesen war, diesen Augenblick mit den Frauen seiner wunderbar verschrobenen kleinen Familie zu teilen, die, wie er vermutete, die ganze Zeit gewusst hatten, was wirklich los war. Ein alter Song von Led Zeppelin kam im Radio. Patricia hatte ihn einmal für ihn gespielt – als sie noch sehr klein waren, kleine Kinder, keine Erwachsenen, zu denen er sich mit jedem Tag ein wenig mehr zugehörig fühlte. Es war ein Song, wie man ihn am Ende von Filmen spielte, direkt bevor die Leinwand schwarz wurde und der Abspann begann, ein Trick, damit man sich noch einmal richtig gut fühlen konnte, bevor man sich wieder der Realität stellen und die leeren Popcornschachteln nehmen und zurück in die wirkliche Welt schlurfen musste. Dabei musste er an Astor denken, an die Welt, die er gekannt hatte, bevor er Oneida sein Geheimnis anvertraute, eine Welt, in der sein Vater der Superheld war. Aber jetzt war eine Tür, an deren Vorhandensein er nie geglaubt hatte, aufgegangen: Er war hindurchgegangen, und der Weg zurück war verschlossen, versiegelt und für immer zugesperrt. Dass er diese Welt verloren hatte, stimmte ihn ein wenig traurig, machte ihm mehr als nur ein bisschen Angst, und er war froh, dass es Led Zeppelin gab – dass es all die Musik, all die Filme, all die Kunst gab –, um sich angesichts der Wirklichkeit besser fühlen zu können. Diese Einsicht empfand er als unheimlich schmerzlich und erwachsen, und er lächelte im Dunkeln in sich hinein. Dann fuhr er unter der alten Bockbrücke an der Bleeker Road hindurch, und der Stein schlug von oben in seine Windschutzscheibe ein, und der letzte bewusste Gedanke von Eugene Wendells Gehirn war: Oh, verdammt .

Teil III

20 Oneida unter Wasser
     
    Der Song lief noch immer im Radio.
    Oneida wusste nicht, wer ihn sang oder wie er hieß, nur dass er noch immer im Radio ertönte, was lächerlich war; dass, nachdem die Windschutzscheibe gesplittert und das Auto ausgeschert und in die Luft geschossen und wieder zu Boden gekracht war und der Sicherheitsgurt ihr in Brust und Bauch und seitlich an ihrem Hals einschnitt; dass nach alledem, nachdem sie sich nicht mehr weiter vorwärtsbewegten und ihr Körper den Preis bezahlt hatte, der

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