Bilder von dir: Roman (German Edition)
Sitzsack neben ihr auf dem Requisitenspeicher, wo er ihr seine Liebe gestand, was so albern klang, dass es höchstwahrscheinlich die Wahrheit war.
»Hast du ein Mobiltelefon?«, fragte sie Andrew Lu, der noch immer vor sich hin murmelte und zitterte, ein Häuflein menschlicher Wackelpudding. Er griff in seine Tasche und reichte ihr ein kleines silberfarbenes Telefon.
»Danke.« Sie gab mit den leuchtenden gelbgrünen Knöpfen die Notrufnummer ein und gratulierte sich dazu, dass sie ihn nicht niederschlug oder ihm die Kehle herausriss oder einen Stein auf seinen Kopf schleuderte, sondern nur sagte: »Du bist ein einziges Stück Scheiße, Andrew Lu.«
»Du darfst es keinem erzählen«, sagte er und packte sie, packte sie fest an beiden Armen und starrte ihr in die Augen. »Du darfst es keinem erzählen. Wenn du mich verrätst, ruinierst du mein Leben.«
Das Mobiltelefon lag warm an ihrem Ohr. Am anderen Ende klingelte es. »Ich werde alles tun, was du willst, sag es mir – sag mir, was ich tun soll, ich werde es tun, ich schwör’s bei Gott …« Sein Griff wurde immer fester.
»Lass mich los«, sagte sie, und in dem Moment meldete sich eine Stimme: »Hier ist die Notrufzentrale, was ist passiert?«
»Ich hatte einen Autounfall an der Bleeker Road in Ruby Falls, gleich hinter der Brückenüberführung.«
Andrew lockerte seine Umklammerung, ließ aber nicht los. Sie spürte, dass er ihren Blick festzuhalten versuchte, selbst als sie sich abwandte, weil sie sich konzentrieren musste.
»Sind Sie verletzt?« Es war eine Frauenstimme, leise und professionell. Ruhig. Als hätte sie das schon unzählige Male zuvor getan – war das nicht verrückt?
»Ich glaube nicht, dass ich verletzt bin, ich bin gut aus dem Wagen rausgekommen. Mein Freund ist gefahren, und er ist bewusstlos. Es kommt Blut aus seinem Mund, ich glaube, er hat sich auf die Lippe gebissen oder so …«
»Haben Sie versucht, ihn anzusprechen oder ihn zu bewegen?«
»Nein.« Sie schluckte. In ihrer Kehle hatte sich ein riesiger Kloß gebildet. Sie konnte nicht einmal ihre eigene Spucke hinunterwürgen. »Ich habe seinen Namen gesagt, aber er ist nicht aufgewacht. Ich glaube, er hat sich den Kopf am Lenkrad angeschlagen.«
»Atmet er?«
»Oh, mein Gott.« Sie wusste nicht, wo sie gewesen war, aber offensichtlich kehrte sie jetzt zurück – zurück zu einem Ort, an dem ihr Körper Schmerz empfand (überall, mein Gott , ihr ganzer Körper tat weh), und in ihren Augen standen Tränen, und ihre Stimme gehörte ihr nicht mehr. »Ich glaube schon«, sagte sie. »Wie soll ich das feststellen? Oh – Spiegel, ich kann einen Spiegel benutzen, ich muss einen Spiegel finden.«
»Bitte bleiben Sie ganz ruhig, Miss. Hilfe ist unterwegs und sollte gleich da sein. Ist noch jemand bei Ihnen?«
Andrews Umklammerung verstärkte sich noch mehr. Er beugte sich so dicht über sie, dass er jedes Wort der Einsatzleiterin mitbekam. Sie roch etwas Süßes, Fruchtiges in seinem Atem – vielleicht Punsch oder ein Starburst-Kaubonbon. Selbst aus dieser Nähe, in der, wie Oneida vermutete, die meisten Menschen zu einer Mondlandschaft aus Poren und Flecken wurden, war Andrew Lu einfach nur umwerfend: Milchig und bläulich leuchtete seine Haut im Mondlicht, die Augen groß und dunkel und dicht bewimpert. Ein Erinnerungsschmerz durchzuckte sie, der Geist ihres nicht ganz vergessenen Verlangens. Er stand nah genug bei ihr, um sie zu küssen, und einen Augenblick lang fragte sie sich, ob das ihre Antwort anders hätte ausfallen lassen. Geändert hätte es ohnehin nicht viel. Indem sie sein Mobiltelefon benutzte, hatte Oneida Andrew Lu mit dem Unfall bereits in Verbindung gebracht – was ihr aber bis zu diesem Moment gar nicht klar gewesen war.
»Ich bin nicht allein. Ich bin hier mit einem Schüler von der Ruby Falls High namens Andrew Lu, der sowohl den Unfall verursacht hat als auch ein absolutes Stück Scheiße ist.«
»Was war das, Miss?«
Andrew Lu schubste sie und drehte sich von ihr weg, fuhr sich mit seinen Händen durchs Haar, dieses wunderschöne tintenfarbene Haar, über das Oneida wohl nie hinwegkommen würde.
»Ich weiß nicht, was genau passiert ist, aber ich glaube, Andrew Lu hat von der Überführung einen Gegenstand herabfallen lassen, der den Wagen traf, in dem ich saß, sodass wir von der Straße abkamen und im Straßengraben landeten. Ich habe Blutergüsse, doch sonst geht es mir gut, aber mein Freund, der gefahren ist, ist noch immer bewusstlos
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