Bilder von dir: Roman (German Edition)
Schluckprobleme zu haben. Dann erstick doch dran , sagte sich Oneida. »Sie bekam einen Stromschlag. In der Arbeit. Ich versichere dir, dass das alles wahr ist.«
»Nennen Sie mir einen Grund, warum ich Ihnen das glauben soll?«
»Ich habe keine Beweise. Das kann ich nicht.«
»Das – das kann doch nicht wahr sein.« Oneida bedeckte ihr Gesicht mit den Händen und betete, es möge nicht wahr sein – betete, das Gefühl, das sie beschlich, möge nicht wahr und nicht verlässlich sein –, denn sie fühlte es tatsächlich, spürte , dass es die Wahrheit war. Ihre Wahrheit. Und ob das nun daran lag, dass Arthur so fest an das glaubte, was er ihr erzählte, und sie mit seiner Überzeugung ansteckte, oder ob etwas Angeborenes, etwas aus ihrem eigenen Herzen Kommendes auf seinen Wahrheitsgehalt reagierte – sie wusste es nicht, und es kümmerte sie auch nicht. Sie wusste nur, dass sie ihm glaubte. Sie glaubte ihm, dass ihre biologische Mutter nicht Mona war. Sie glaubte ihm auch, dass die Frau, die ihr das Leben geschenkt hatte, tot war – sie sie also nie kennenlernen, nie sehen würde, sie ihr weder danken, noch sie beschuldigen, noch sie verfluchen oder mit ihr in irgendeiner Form kommunizieren konnte. Der Tod kostete das Leben. Das war Sterblichkeit.
Sie war fertig. Sie war am Ende ihrer Suche nach Erkenntnis angekommen. Sie wusste jetzt mehr, als sie je hatte wissen wollen: Sie hatte gelernt, dass sie weder wusste, wer sie war noch woher sie kam. Und sie hatte gelernt, dass sie eines Tages ohne Vorwarnung sterben konnte. Sterben würde .
Arthur war es gelungen, eine ihrer Hände zu packen. Dann redete er noch weitere fünfzehn Minuten mit ihr. Es ging dabei nur um Ocean City, nur um New Jersey – wovon Oneida bereits einiges wusste (dass Mona in einer Pizzeria gearbeitet hatte) und einiges erfuhr, was sie gar nicht wissen wollte (dass Amy nicht einmal eine Nachricht hinterlassen hatte). Er fragte sie, ob alles in Ordnung mit ihr sei.
»Natürlich nicht.«
»Wenn es eins gibt, was ich von deiner Mutter weiß …«
»Von welcher?«
»Deiner Mutter. Mona.« Arthur schnitt eine Grimasse. »Sie liebt dich. So sehr wie ein Mensch nur einen anderen lieben kann.«
»Sie hat mich benutzt.« Oneidas Stimme war dumpf und tief. Sie gehörte jemand anderem. »Ihre beste Freundin hatte sie stehen lassen, und sie hatte Angst und war allein. Ich kenne sie, Arthur. Sie braucht es, gebraucht zu werden. Sie braucht ein Publikum. Und da komme ich ins Spiel, das verlassene Etwas: Ich brauchte eine Welt und sie brauchte es, eine zu sein. Sie hat mich benutzt.«
»Nein«, sagte Arthur. »Das ist eine grobe Vereinfachung. Bitte, du musst mit ihr darüber reden.«
»Danke, dass Sie es mir erzählt haben.« Oneida entknotete ihre Beine und stand auf. Ihre Knie schmerzten. »Und keine Sorge. Ich komm schon klar.«
Arthur wusste, dass sie log. Sie spürte seine Sorge, spürte seine Besorgnis, die sie zurück auf ihr Zimmer begleiteten. Es war ihr egal, ob er es Mona erzählte; sie vermutete, dass er dies seinem Gewissen schuldig war. Sie käme schon klar damit, wenn Mona kommen sollte, um mit ihr darüber zu reden. Oneida hasste sie nicht. Ihre Gefühle für Mona waren viel zu kompliziert, um sie auf einen Nenner zu bringen: Einen Moment lang verspürte sie Mitleid für ein Mädchen ihres Alters, das verlassen worden war, das vermutlich noch immer darauf wartete, dass jemand zu ihr zurückkam. Darauf folgte Ehrfurcht vor der Frau, die sie großgezogen hatte, die in dieser Angelegenheit mehr Wahlmöglichkeiten gehabt hatte, als Oneida es sich je vorgestellt hatte. Aber diese Gefühle waren schwach und gehörten wie ihre Stimme zu einer gänzlich anderen Person. Sie waren nichts im Vergleich zu dem geschwollenen Knoten in ihrer Brust, der ihr Herz ausfüllte und sich immer weiter ausbreitete – hinunter in ihren Bauch, hinauf in ihre Kehle – und ihren Körper von innen heraus lähmte.
Ich möchte etwas Gutes spüren, überlegte sie. Ich muss etwas Gutes spüren – und zwar jetzt, gleich jetzt …
Sie nahm die grüne Glasflasche, die Wendy an ihren Baum gebunden hatte, denn der in die Flasche gestopfte blaue Samt würde sich gut anfühlen zwischen ihren Fingern. Die Flasche hatte geduldig auf ihrer Kommode darauf gewartet, im Notfall zerbrochen zu werden.
Das war ein Notfall. Sie zerbrach sie.
23 Wach auf und werd erwachsen
Am Montag packte Arthur. Er legte seine Kleider zusammen, selbst die schmutzigen, und
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