Bilder von dir: Roman (German Edition)
Interessen, sie waren einander keine Rechenschaft schuldig über ihre Gefühle oder ihren Ruf oder die Kraft, sich im Spiegel sehen und mögen zu können, was man sah. Es gab nur das Versprechen und die Hoffnung, dass andere Menschen gut sein können, gut sind, dass andere Menschen der Grund dafür sind, weshalb wir überhaupt auf Erden leben.
Freundschaft forderte einem mehr Vertrauen ab als jede andere Form der Liebe, mehr Vertrauen als Oneida zu haben glaubte. Aber dann fragte sie sich: Wozu ist Vertrauen gut, wenn man es nie zu jemandem fasst?
»Ich habe geweint, weil ich herausgefunden habe, wer tatsächlich meine Mutter ist.« Für den Fall, dass wieder ein Anfall kam, hob sie die Papiertüte ein wenig näher ans Gesicht.
Dani blinzelte ungläubig. »War das denn nicht deine Mom – habe ich sie nicht bei dir zu Hause kennengelernt?«
»Funktionell gesehen schon.« Oneida schlug ihre Beine übereinander und lehnte sich an den Kuscheltierberg. Eins davon quietschte jämmerlich. »Biologisch gesehen nicht.«
»Nein. Sag bloß.« Dani setzte sich Oneida gegenüber und schlug ebenfalls die Beine übereinander und griff nach einem großen braunen Bär, der so geliebt worden war, dass er kaum noch Fell hatte. Sie klappte ihn zusammen und stützte ihre Ellbogen auf seinem Kopf ab. »Und wo ist dein Dad?«
Oneida zwinkerte, unsicher, was sie sagen sollte. Dani interpretierte ihr Schweigen als Weigerung, ihr zu antworten.
»Tut mir leid«, sagte sie. »Du brauchst es mir nicht zu sagen. Ich will nicht neugierig sein, es ist nur … du musst dich zusätzlich zu allem anderen, was passiert ist … du weißt schon, jetzt auch noch damit herumschlagen. Ich bin beeindruckt.«
»Ich weiß nicht«, sagte Oneida, »wer mein Vater ist.« Und lächelte.
Danis Wangen blähten sich. Sie schüttelte den Kopf. »Du bist echt Hardcore, Jones.«
Oneida lächelte noch breiter. Dann erzählte sie ihr alles, was sie wusste.
Es war Danis Plan, und er war brillant (natürlich).
»Du wirst dich besser fühlen, wenn du etwas unternimmst«, sagte Dani. »Nichts Großes, nichts, womit du jemandem Schaden zufügst. Das ist keine Rache, das ist Entschädigung. Das ist dein Weg zu sagen, dass du verletzt bist, dass du wütend bist und dass du Zeit brauchst. Also: Leck mich, Mom.« Dani riss ihre Schreibtischschublade auf. »Nur ein klein wenig.«
Dani reichte ihr ein Blatt aus ihrem Schulheft und einen Stift und eine große Paperbackausgabe von »How the Grinch Stole Christmas«, die Oneida auf ihrem Schoß balancierte, um darauf zu schreiben. Oneida setzte ihre Brille ab und putzte sie mit einem Zipfel ihres T-Shirts. Dann schrieb sie eine Nachricht an Mona, von der sie hoffte, dass sie das Nötigste aussagte.
Dani fuhr sie zum Darby-Jones und wartete an der Einfahrt, während Oneida sich auf die Eingangsveranda schlich und persönlich ihren Brief abgab – den Brief, in dem sie ihr Durchbrennen vortäuschte, so vage gehalten, dass Mona ausflippte, aber nicht so, wie Dani meinte, dass Oneida deswegen Ärger bekommen könnte. Selbst wenn Mona so sehr ausflippte, dass sie die State Troopers rief, um sie als vermisst zu melden, gab es nichts Konkretes, nichts, was gegen sie verwendet werden könnte. »Außerdem hauen ständig Jugendliche ab«, sagte Dani. »Das hat nichts mit dir zu tun, aber ich glaube wirklich nicht, dass man etwas unternehmen wird, um dich zu finden. Jedenfalls nicht während der ersten vierundzwanzig Stunden.« Zu Danis Plan gehörte auch, dass Oneida bei ihr zu Hause übernachtete, obwohl am nächsten Tag Schule war, womit Danis Vater – der selbstständiger Designer war und sein Atelier im hinteren Teil des Hauses hatte; dazu leuchtend blaue Augen, von denen Oneida sich kaum losreißen konnte – einverstanden war, solange das auch Oneidas Mutter war. Oneida rief das Kino im Einkaufszentrum von Syracuse an und, wie vorherzusehen, fanden die auf Band abgespielten Kinozeiten es großartig , dass sie bei einer Freundin übernachtete.
Als sie zurück in den Wagen sprang, brachen sie und Dani in ein Triumphgeheul aus und düsten davon. Ihr schwindelte, ihre Auflehnung – ihre gerechtfertigte Auflehnung, was noch eine Steigerung bedeutete – berauschte sie. Aber sobald es erledigt war, zwang sie sich, es zu vergessen. Sie wollte sich Monas Gesicht beim Lesen der Nachricht nicht vorstellen, wenn sie zwischen den Zeilen las und sich ihre Gedanken machte und Schlüsse zog. Oneida wusste, dass es Mona wehtun
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