Bilder von dir: Roman (German Edition)
tat so gut , das alles mal auszusprechen, als hätte sie es sich jahrelang aufgespart. Und das hatte sie vielleicht auch; schließlich kannte sie Danielle Drake seit der vierten Klasse, als Dani in den Schulbezirk von Ruby Falls zog. Etwa eine Woche lang hatte Oneida sogar geglaubt, sie könnten Freundinnen werden, aber dann war Dani von den Schülern für das Theaterstück vereinnahmt worden, und Oneida hatte mit dererlei organisierten Produktionen nichts zu schaffen. Und jetzt saßen sie hier, nachdem sie sich fünf Jahre lang gegenseitig bis aufs Blut gereizt hatten, und schrien es hinaus, wie unzureichend die jeweils andere als Mensch war, allein in der leeren Aula der RFH , hoch über der Bühne, umgeben von Requisiten und Standbildern und Kostümen, und Oneida war so erschöpft, dass ihr alles egal war. Sie wollte nicht mehr kämpfen. Nicht einmal mit ihrer Erzrivalin.
»Dani«, sagte sie, »hör einfach auf. Du brauchst mich nicht zu trösten, aber ich danke dir. Dafür, dass du es versucht hast. Und es tut mir leid, dass ich das zu dir gesagt habe, von wegen du kennst Eugene nicht. Das war gemein, und ich weiß nicht mal, warum ich es gesagt habe. Ich kann’s nicht ändern, wenn ich …«
Sie war so gebrochen. Bestand aus viel zu vielen Stücken und konnte nicht mehr entscheiden, welches davon das wichtigste war.
Ich kann nichts dafür, wenn ich komisch bin. Wenn ich gemein bin. Wenn ich verwirrt bin. Wenn ich klug bin. Wenn ich verdammt bin.
Danis Lächeln war so breit wie der Horizont. »Ich auch nicht«, sagte sie.
Sie sanken beide zurück in ihre Sitzsäcke und starrten ins Dunkel.
»Was ich eigentlich meinte, war« – Dani grinste –, »was unternehmen wir gegen Andrew Lu?«
Ich bin eine Spionin , überlegte Oneida. Ich bin undercover .
»Also das ist mein Haus«, sagte Dani und zog rüttelnd den Schlüssel aus der Eingangstür. »Zuhause, schöner bourgeoiser Schweinestall.«
Ich befinde mich auf feindlichem Territorium .
Das feindliche Territorium bestand aus einem beigen Plüschteppichboden so dick, dass Oneida das Gefühl hatte, darauf abzufedern, und einem alten Paar Turnschuhe, dessen Sohlenprofil mit Gras verfilzt war, das wie Überlebende auf einem Floß auf einer Plastikmatte trieb. Im feindlichen Territorium gab es einen vergoldeten Spiegel und einen kleinen Tisch, auf dem L.- L.-Bean-Kataloge lagen, es roch schwach nach synthetischer Vanille, und – ach du liebe Zeit – im feindlichen Territorium hingen dem Spiegel gegenüber drei gerahmte Fotos an der Wand: Schulfotos von der zweiten und dritten Klasse, von zwei Brüdern, offenbar Danis Brüdern und von ihr selbst: Dani Drake mit fehlendem Schneidezahn, einem roten Band im Haar und einem Sweatshirt mit einer Barbie darauf.
»Man muss den Status quo kennen, wenn man ihn ändern will«, sagte Dani, die Oneidas Blick verfolgte.
»Hat dich jemand gezwungen, das zu tragen?«
»Nein.« Dani ließ ihren Rucksack auf den Boden fallen und benutzte einen Fuß, um den Turnschuh vom anderen abzustreifen. »Ich habe diese Tussi wirklich geliebt. Als ich dann größer wurde, wurde mir klar, dass sie ein Werkzeug des Patriarchats ist, dazu entworfen, den Weiblichkeitsbegriff der Mädchen – und darüber hinaus die Mädchen selbst – in gefügige, großbusige, ewig lächelnde Wesen ohne Genitalien zu verwandeln.«
Darauf hatte Oneida keine Antwort parat.
»Also veranstaltete ich eine Barbie-Verbrennung im Hof.« Dani warf ihre Jacke über einen kleinen Holzstuhl, der, wie Oneida vermutete, sicherlich nur zum Anschauen und niemals zum Hinsetzen gedacht war. »Ich habe davon Fotos gemacht, die kann ich dir zeigen. Ist echt krass, was mit Plastik passiert, wenn man einen Brandbeschleuniger benutzt. Ziehst du bitte deine Schuhe aus? Mein Dad macht sich sonst ins Hemd. Hey, Dad«, rief Dani ins Haus. »Ich bin zu Hause. Hab meine Freundin mitgebracht.«
Oneidas Kehle schnürte sich zusammen, und sie schockte sich selbst mit einem Lächeln. Dani Drake hatte sie meine Freundin genannt. Es gab viele Erklärungen, jede Menge Gründe für diese Wortwahl; Oneida ging davon aus, dass es für Dani weitaus einfacher war, sie eine Freundin zu nennen, als sie als meine Todfeindin anzukündigen , mit der ich eine Art Waffenstillstand vereinbart habe, während wir einen Racheakt gegen den Trottel ausarbeiten, der den Jungen, den wir beide lieben, ins Krankenhaus gebracht hat . Aber sie hätte auch einfach sagen können jemand aus meiner
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