Bilder von dir: Roman (German Edition)
würde. Sie wusste, dass die Schlussfolgerungen, die sie aus dem Wegrennen zog, ihr Angst machen würden. Meine Güte – es war schon beängstigend genug, sich das Weglaufen vorzustellen , geschweige denn, es auch tatsächlich zu tun, und ihre Mutter wusste sehr genau, wovor sie Angst haben musste. Aber genau das machte Danis Plan so brillant – er war perfekt darauf zugeschnitten, Monas eigene Ängste, ihre eigenen Erfahrungen auszuschlachten: ihr eigenes gemachtes Bett, dessen Überwurf ihre eigene Einbildung darüberdeckte.
Oneida wiederholte es sich im Geiste immer wieder und redete sich ein, Mona habe sich das selbst zuzuschreiben. Und dann malte sie sich aus, was es für ein Gefühl wäre, wenn sie morgen nach der Schule nach Hause käme, der kühle Rausch der Erleichterung, wenn sie ihre Mutter umarmte, einfach ihre Arme um sie schlang und die Vanille in ihrem Haar und auf ihrer Haut roch, womit alles ein Ende haben könnte, und was immer danach geschah, wie die Welt von nun an aussehen mochte – es konnte geschehen.
Danis Mutter, offenbar eine Chirurgin, kam um 18:30 Uhr nach Hause und brachte zwei große Pizzen mit. Sie sagte, sie freue sich, Oneida endlich kennenzulernen, da Danielle sie häufig erwähne, und Oneida konnte nur hoffen, dass keiner sah, wie diese beiläufige Bemerkung sie freute und erröten ließ. Dani hatte zwei jüngere Brüder, Dylan und Duncan, Zwillinge in der sechsten Klasse. Sie beendeten gegenseitig ihre Sätze und aßen eine Pizza ganz allein auf. Dani war im Kreise ihrer Familie die Ruhige – ihre Mutter erzählte Geschichten von Patienten, mit denen sie berufsmäßig zu tun gehabt hatte, den Gehirnen, in denen sie herumgestochert hatte, und ihr Vater erkundigte sich bei allen, wie ihr Tag gewesen war, auch bei Oneida, die erst überrascht war, dann aber ehrlich antwortete.
»Ich habe den Großteil des Tages damit verbracht, über meine Sterblichkeit nachzudenken«, sagte sie.
Duncan Drake blieb der Bissen im Mund stecken.
»Dann habe ich einen Geometrie-Test gemacht.«
Mr. Drake lachte. Dann lachten alle, sämtliche Drakes und Oneida dazu, die eigentlich gar nicht hatte lustig sein wollen, jetzt aber erkannte, wie lustig es war, erkannte, dass das ganze Leben lustig war, und zwar genau aus dem Grund, dass es endlich war.
Dani wurde vom Tischabräumen entbunden, weil sie eine Freundin zu Besuch hatte, und wieder platzte Oneida fast vor Freude und Stolz, so bezeichnet zu werden, noch dazu von diesem Clan seltsamer und brillanter Menschen (Danis Vater hatte das Wort pädagogisch benutzt und nicht innegehalten, um es zu erklären, und keiner hatte auch nur im Geringsten verdutzt ausgesehen).
»Deine Familie ist toll«, sagte Oneida, als sie wieder in Danis Zimmer waren. »Deinen Dad mag ich sehr.«
»Er ist okay.« Dani kniete nieder, um einen Stapel Klamotten zu durchwühlen. »Sie haben heute ihr Gastgeber-Verhalten an den Tag gelegt. Meine Mutter ist normalerweise ein zänkisches Weib.«
»Oh.« Oneida wusste nicht, ob ihre erste Einschätzung einer Entschuldigung bedurfte.
»Ich hab sie!« Triumphierend hielt Dani eine leuchtend orange Plastiktüte in der einen und Arztkleidung in Zahnpastagrün in der anderen Hand. »Bist du bereit für unseren Plan?«
»Ich denke schon.« Oneida setzte sich auf Danis Schreibtischstuhl.
»Auf diese Weise kommen wir rein, um Eugene zu besuchen. Halloween ist noch nicht lang vorbei, also wird im Krankenhaus der Teufel los sein. Da wird keiner kontrollieren, wenn er eine Assistenzärztin und eine Krankenschwester sieht.« Oneida vermutete, dass die Arztkleidung von Danis Mutter aussortiert worden war, aber die weiße Schwesternuniform, die sie aus der orangen Tüte zog, sah irgendwie kurz aus und trug noch das Etikett von einem Kostümladen. Ein Aufnäher auf einer der Taschen zeigte ein von einem ausgefransten Riss halbiertes Herz. »Kommst du mit?«
Oneida kaute an ihrer Lippe.
»Was?« Dani klang ungeduldig. »Na, komm schon, willst du ihn nicht sehen? Vermisst du ihn nicht?« Die unausgesprochene Herausforderung, die spitze Bemerkung – liebst du ihn überhaupt genug, hätte ich ihn nicht viel eher verdient? – machte Oneida reizbar und zurückhaltend. Ihr Vertrauen geriet ins Schwanken. »Pass auf«, fuhr Dani fort, »ich werde ihn heute Abend besuchen, ob du nun mitkommst oder nicht, ich will nur …«
»Ich möchte seiner Familie nicht begegnen. Weil ich nicht weiß, was ich zu ihnen sagen soll.«
»Dafür haben
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