Bilder von dir: Roman (German Edition)
Fraktionen einigen konnten: Sie blieb mitten im Raum stehen, hielt ihre Arme vor den Leib, die Augen geschlossen, und es schüttelte sie und sie weinte. Verschwommen nahm sie wahr, dass Dani, nachdem sie sie hineingeschoben hatte, geflohen war, offenbar zu durcheinander von allem anderen, als sich darum zu sorgen, ob dies womöglich das Ende der in den Kinderschuhen steckenden Waffenruhe war. Sie dachte an Mona, nur an Mona. Erinnerte sich, wie sie mit ihrer Mutter getanzt hatte, sie beide durch die Küche getanzt waren – wobei Mona sie an ihren sehr kurzen Ärmchen einer Fünfjährigen herumgewirbelt hatte wie eine Eislaufprinzessin, sie übers Knie nach hinten getaucht und dabei die ganze Zeit diesen alten Song der Backstreet Boys gesungen hatte, in dem es darum ging, es nicht anders haben zu wollen, obwohl alles nur ein Fehler war. Zum ersten Mal ergab dieser blöde Song, dieser hirnverbrannte Text, einen verdrehten Sinn, Oneida wusste nicht, ob Mona das damals mit Absicht gesungen hatte oder nicht, aber heute – wo sie ohnehin schon völlig durcheinander war in Dani Drakes Schlafzimmer, wo der merkwürdige Kampf zwischen kleinem Mädchen und kumpelhafter Revolutionärin tobte (Himmelbett voller Kuscheltiere, The Anarchist Cookbook , das unter dem pfirsichfarbenen Bettüberwurf vorspitzte) – hörte Oneida die Beichte ihrer Mutter: Sie war der Fehler von jemand anderem. Sie war Monas Entscheidung, die Mona nach ihren Wünschen ausgelegt hatte. Oneida hatte keinen Grund, sich zu entschuldigen. Nichts, weswegen sie Schuldgefühle zu haben brauchte. Es blieb einzig und allein das Rätsel, warum Mona es ihr nicht erzählt hatte, wobei die Antwort bereits in der Frage steckte.
Mona hatte ihr die Wahrheit nicht gesagt, weil sie Mona war.
Ihre Mutter hatte Angst – vor ihr. Ihre Mutter war ein Mensch, ein junger dazu. Auch ihre Mutter würde eines Tages sterben, wie sie selbst. Man musste ihrer Mutter verzeihen, was sie verbockt hatte. Am vielleicht schmerzlichsten war jedoch, dass Mona nicht ihre Freundin war, eigentlich nie ihre Freundin gewesen war – sie war immer ihre Mutter gewesen. Würde auch immer ihre Mutter sein, die einzige, die sie je hatte und die einzige, die sie je brauchte.
» Tell me why-ee «, sang Oneida leise für sich und lachte hysterisch, worauf sie noch mehr weinen musste.
»Ich habe dir eine Papiertüte mitgebracht.« Dani war zurückgekommen. Wie lang hatte sie schon da gestanden und ihr eine kleine braune Brotzeittüte hingehalten? »Damit du da hineinatmen kannst. Als ich klein war, habe ich auch immer hyperventiliert, wenn ich weinte. Ich steigerte mich so hinein, dass ich nicht mehr aufhören konnte. Da.«
»Danke.« Oneidas Atem ging noch immer schwer und ließ sich nicht kontrollieren. Ihre Brille war tränenverschmiert, und sie war sich ziemlich sicher, dass Rotz und Spucke überall im Gesicht verteilt waren. Sie stieß ihren Atem in die Tüte, die sich mit erfreulichem Knistern aufblähte.
»Ich denke, wir sollten ihn besuchen«, sagte Dani, und Oneida, die sich ganz auf ihren Atem konzentrierte, wusste erst gar nicht, von wem sie sprach.
»O ja.« Die Tüte verschluckte ihre Stimme. »Ich …« Ihre Augen brannten wieder.
»Ich dachte, das ist … warum du … nun komm schon, setz dich.« Dani führte sie ans Bett. »Ich glaube, die Besuchszeit für Nichtfamilienmitglieder geht nur bis sieben Uhr, aber ich habe einen Plan, wie wir die umgehen – oh, Mist, es geht schon wieder los.« Danis Gesicht zog sich zusammen und sie schniefte laut. »Mein Gott, das ist so verdammt weibisch. Ich hasse das!«, sagte sie. »Ich hasse alles, was damit zu tun hat … diese Gefühle … dieser ganze Scheiß!«
»Ich auch«, sagte Oneida in ihre Tüte. Sie schloss die Augen. »Zuvor habe ich nicht seinetwegen geweint.«
»Was meinst du damit?«, fragte Dani.
Oneida nahm die Tüte aus ihrem Gesicht. »Ich habe geweint wegen meiner … weil … Hm.«
Sie wollte ihr alles erzählen.
Es war beängstigend. Es war neu. Dani Drake war trotz des unerwarteten Waffenstillstands eine Fremde. Vor Kurzem noch der Feind. Sie war nicht verpflichtet, Oneida alles zu verzeihen oder sie bedingungslos zu lieben – sie war jemand anderer, sie war eigenständig, sie war die Akteurin ihrer eigenen Bedürfnisse und Motive, und es stand nicht in Oneidas Macht zu kontrollieren, was Dani mit der ihr gegebenen Information anfangen würde. Es gab keinen Schutz vor ihr. Es gab keine gemeinsamen
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