Bilder von dir: Roman (German Edition)
übrig.
»Normalerweise bin ich nicht verrückt«, sagte Arthur.
»Das bezweifele ich«, sagte Mona und versuchte ihr Glück. »Um Amy zu heiraten, müssen Sie verrückt gewesen sein.«
Arthur gab einen Laut von sich. Leise und schrecklich. Ein Laut, den Mona nur Tieren zugetraut hätte, und auch dann nur, wenn ein grausamer Herr sie zum hundertsten Mal trat: ein Schrei, der in der Kehle des Schreienden verstummt, ein Schrei, der aufgibt. Dem klar wird, dass gegen diesen Tritt jedes Aufbegehren sinnlos ist, es keine andere Realität gibt als diese und nichts und niemanden, der einen retten könnte.
O nein , dachte sie. Nein. Sie wollte Amys Geheimnisse nicht wissen, wollte sie nicht wissen, wollte sie nicht wissen …
»Arthur, Sie müssen nicht …« Mona hielt ihre Hände hoch und wappnete sich für den Stoß, mit dem sie im Traum nicht gerechnet hätte.
»Amy ist gestorben«, flüsterte Arthur. Er schloss die Augen und legte seinen Kopf zurück aufs Kissen. Die Stille im Raum wickelte sich eng um Monas Kopf, dämpfte das Geräusch von Ray Harryhausen, der immerzu schnurrte, weil das dumme Tier es nicht besser wusste.
8 Wie Eugene stürzte
Vor langer Zeit, lange bevor er Oneida Jones trickreich dazu verleitete, allein zu ihm nach Hause zu kommen, konnte Eugene Wendell den ganzen Tag an Sachen denken, ohne dass auch nur ein Mal, nur ein verdammtes Mal, Sex dabei vorkam. Aber dann lösten eines Tages ohne Vorwarnung die normalsten Dinge, langweilige Dinge wie Fernbedienungen oder eine Butterdose oder eine Zahnpastatube Fantasien aus, die so verlockend und zwingend waren, dass er sich entschuldigen musste, um auf einer möglichst abgeschiedenen (verdammt nein, nahen) Toilette zu masturbieren. Als er diesen neuesten Trick seines Gehirns und seines Körpers anfangs entdeckte, konnte er darüber nur staunen: Vierundzwanzig Stunden am Tag, sieben Tage die Woche, bekam Eugene Wendell in null Komma nichts einen Orgasmus. Es war beeindruckend.
Aber dann, genauso unvermittelt – und unfassbar – verlor es seinen Reiz. Er konnte sich nicht mehr konzentrieren. Er langweilte sich. Keine seiner Hände vermochte von sich aus (oder gemeinsam) irgendetwas Interessantes beizutragen, und ihm wurde bewusst, dass er jemanden umbringen würde, wenn es ihm möglich wäre, einmal eine Hausaufgabe zu erledigen, ohne dabei an Sex zu denken. Es war ein Fluch. Es war sein Fluch, allein seiner, und eines Nachmittags, als er für einen Geschichtstest büffelte und einen Moment lang von Dolley Madisons Foto abgelenkt war, die ihre Füße in die Luft streckte, entdeckte Eugene, was er brauchte: ein Mädchen. Er brauchte eine andere Variable, um die Dinge wieder interessant zu gestalten, ein Ziel, auf das er einen Teil seiner fehlgeleiteten sexuellen Energie bündeln konnte. Das war so einfach, so elementar, und doch war es ihm nicht in den Sinn gekommen.
Vielleicht hatte er aber auch nur deshalb nicht daran gedacht, weil es unmöglich war, ein Mädchen zu finden. Er besuchte eine Schule, die abgelegener nicht sein konnte, hatte nur einen Lernführerschein (auf den richtigen würde er nach Meinung seiner Eltern noch sechs weitere Monate warten müssen), und Eugene hatte trotz seines unkontrollierbaren Verlangens nicht vor, sich unter das gemeine Volk zu mischen. Er hatte seine Standards. Ihm war es nicht gleichgültig, wen er bumste, denn er wollte vor derjenigen, die er bumste, und vor sich selbst noch Respekt haben können. Und darin sah er ein weiteres Zeichen dafür, dass er das unentdeckte Juwel von Ruby Falls war: ein Junge mit Qualitäten, ein brillanter Junge, den der Rest der Welt irgendwann einmal entsprechend schätzen würde.
Nachdem er sein Geschichtsbuch beiseitegeworfen hatte, schlug er das Jahrbuch des vergangenen Schuljahres auf. Seine ganze Klasse, alle dreiundvierzig Seelen unterschiedlicher Intelligenz und unterschiedlichen Menschseins starrten ihm von einer Doppelseite entgegen, winzige Köpfe in Schwarz-Weiß, die einen fast allgemeinen Brechreiz bei ihm auslösten. Er hasste sie wirklich. Warum oder wie er zu der Person geworden war, die andere hasste, hätte er jedoch nicht sagen können. Es war wie der Sexdrang: Eines Tages war es einfach da, und er wusste nicht, wie er es stoppen sollte. Er hoffte darauf, es möge eines Tages verschwinden, aber nach allem, was ihn das Verhalten Erwachsener gelehrt hatte, baute er nicht darauf.
Er überflog die Bilder, die vor fast einem Jahr gemacht worden waren.
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