Bilderbuch Aus Meiner Knabenzeit
die Aufwartung zu machen, aber als sie ihn ansprachen, verstand er nicht zu antworten. Da schrie er zum Fenster der Kanne hinaus mit brüllender Amtsstimme nach dem Stadtpatrouillanten
Eberle,
er solle sogleich seine Tochter holen, die Rike, die Französisch verstehe. Diese zog der Vater an den Haaren herbei. Der Herr Bürgermeister befahl ihr Französisch zu sprechen, sie brachte aber nichts heraus als: Oui, Monsieur General, je suis été – – welche Worte der Bürgermeister nachsprach, womit er lange gefoppt wurde.
Der Rathausdiener Michel
Einen Kontrast gegen diesen Bürgermeister machte sein Stadtdiener, der mit der Blechkapsel unter dem Arme jeden Morgen aus- und einging, auch den Herrn Bürgermeister bei seinem Gange auf das Rathaus, in geziemender Entfernung, die Akten in der Kapsel tragend, begleitete. Dies war eine ganz kleine zwergartige Gestalt, mit einem fast zu einem Rade gebogenen Rücken, über welchen von dem sehr haarlosen Kopfe ein, mehrere Ellen langer dünner Haarzopf in Wellenlinien sich herabbog. Das Männlein mit gutmütigem Blicke, etwas dicker aufgestülpter Nase, sehr großem Munde und ganz feinem Stimmlein, war die Demut und Dienstfertigkeit selbst, so daß es, wie der Herr Bürgermeister auf Stock und Sammethosen, mich oftmals unter den Arkaden auf seinem Rücken reiten ließ, wobei ich mich seines langen Haarzopfes als Leitseil und Peitsche bediente.
Der Oberamtsdiener Vogel
Die amtliche Bedienung meines Vaters war ein alter, gewesener Tambourmajor, der ein Alter von mindestens 90 Jahren erreicht haben muß. Er hatte im siebenjährigen Kriege zuerst eine Schanze bestiegen und dadurch diesen Ehrendienst erlangt. Er hieß
Vogel
und war eine hagere hohe Gestalt mit langem Zopfe und sehr aufrechter militärischer Haltung. Er bediente zugleich auch meines Vaters Rappen, der meinen Vater und mich oft nach Neckarweihingen an den Neckar zum Bade führte. Dieses Reit- und Chaisenpferd gehörte eigentlich auch ganz zur Familie. Wir liebten es alle wegen seiner Zahmheit und Kraft. Wenn mein Vater des Nachts von Stuttgart zurückkehrte, hing er gemeiniglich um zu schlafen das Leitseil über den Arm, und das treue Tier geleitete ihn sicher, allen andern Gefährten von selbst ausweichend, bis vor das Ludwigsburger Tor. Auch meine Mutter fuhr oft ganz allein mit ihm, ohne Kutscher. Mein Vater ließ es oftmals abmalen.
Jener alte Amtsdiener hatte den Tag über meistens seinen Sitz in den Arkaden auf einer grünen Bank vor der Türe der Oberamtei. Nachmittags fand man ihn da oftmals ganz aufrecht schlafend sitzen und im Schlafe auf seinen gelben ledernen Hosen trommeln, dann mit einem Pfiffe erwachen und verwundert um sich schauen; denn er vermeinte sich im Traume noch bei seinen Trommlern. Wenn wir ihn so schlafend dasitzen sahen und das Trommeln seiner Finger auf den Hosen anfing, so holten wir Knaben einander oft leise herbei, sahen ihm lange zu und weckten ihn endlich durch einen Zug am langen Zopfe, von dem er dann erwacht, uns Hiebe austeilte.
Sonst ergötzte er uns Kinder besonders durch seine Kunst in Holz zu schnitzeln, und wir quälten ihn um manches Kunststück von seiner Hand. Vortrefflich verstand er die Kunst Pfeile zu schnitzen und Bögen dazu zu verfertigen, die wir dann auf dem Marktplatze in die Höhe und in die Weite schossen, ja, sogar manchmal damit die schwarzen Lederhosen verletzten, die der Turmwächter
Faber,
der zugleich Seckler war, an dem eisernen Geländer des gelben Stadtkirchenturms, seiner Wohnung, zum Trocknen aufgehängt hatte.
Die Rakete auf dem Küchenherde
Ein gefährlicheres Spiel war für mich das Feuerwerk. Meine alte Kindsmagd hatte einen Feuerwerker geheiratet, in dessen Stube ich oft Stunden lang zubrachte; er lehrte mich das Füllen und Stampfen von Patronen zu Schwärmern und Raketen, bei deren Abbrennung in den Gärten ich meine Mutter oft in Sorge und Angst versetzte. Ja, einmal als mein Vater sich auf einem Amtsorte in Geschäften befand, legte ich um die Mittagszeit in der Küche eine Rakete geradezu zwischen die Fleischtöpfe ins Feuer, welche auch alsbald ihren Zug durchs Kamin nahm, so daß über demselben noch die Funken in die Luft stoben, und Bürgermeister
Kommerell
in Begleitung seiner Frau und des hinter ihm nachschießenden Amtsdieners, ohne Perücke und Stock, in die Oberamtei sprang.
Ein Brandunglück war nicht geschehen, wie die Nachbarn vermuteten, aber das Mittagessen war für die Skribenten, die, wenn mein
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